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Was schützt ein Designrecht

Edle Handtaschen von Gucci, stilvolle Anzüge von Giorgio Armani oder coole Sneakers von Adidas stehen in den Schaufenstern von schicken Einkaufsstraßen. Diese Produkte sind eingetragene Designs und schützen die Erscheinungsform dieser Produkte. 

Mit einem eingetragenen Design verfügt man über ein zeitlich begrenztes Monopol auf die Form und farbliche Gestaltung eines Produktes, zum Beispiel Bekleidung, Möbel, Fahrzeuge, Stoffe, Ziergegenstände oder grafischen Symbole. Auch Teile von Erzeugnissen können als eingetragenes Design geschützt werden. 

Damit schützt das Design nicht das Produkt per se, sondern lediglich dessen äußere Erscheinungsform. Hier stehen also nicht die technischen Aspekte im Vordergrund, sondern allein die Ästhetik

Was ist der Unterschied zwischen einem Geschmacksmuster und einem Design?

Bis 2014 hieß das Design in Deutschland „Geschmacksmuster“, dann wurde dieser veraltete Begriff durch „Design“ ersetzt. In der EU wird aber weiterhin von einem „Gemeinschaftsgeschmacksmuster“ (GGM) gesprochen. 

Voraussetzungen für Schutzfähigkeit

Ein Design muss zum Zeitpunkt der Anmeldung „neu“ sein. Neu heißt, dass vor dem Anmeldetag kein identisches oder nur in unwesentlichen Merkmalen abweichendes Design veröffentlicht, ausgestellt oder auf den Markt gebracht worden sein darf. 

Des Weiteren muss das Design eine gewisse „Eigenart“ aufweisen. Sein Gesamteindruck muss sich dafür von dem bereits bestehenden Design unterscheiden. An die Eigenart werden jedoch keine besonders hohen Anforderungen gestellt. 

Neuheit und Eigenart werden nicht vom Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) geprüft. Daher bezeichnet man das eingetragene Design auch als ungeprüftes Schutzrecht. Ob die Schutzvoraussetzungen für ein Design vorliegen, entscheiden im Streitfall die Zivilgerichte. 

Anmeldung eines Designs

Mehrere Designs können in einer Sammelanmeldung gemeinsam angemeldet werden (bei deutschen eingetragenen Designs bis zu 100 Designs pro Anmeldung). Die Anmeldekosten für ein Sammeldesign sind daher bedeutend niedriger. 

Schutzdauer eines Designs

Ein eingetragenes Design genießt zunächst Schutz für 5 Jahre ab dem Anmeldedatum. Die Schutzdauer kann jeweils um weitere fünf Jahre verlängert werden, maximal auf 25 Jahre. 

Nichteingetragene EU-Gemeinschaftsgeschmacksmuster (EU-GGM)

Eine weitere Möglichkeit, ein Design kurzfristig und ohne vorherige Eintragung beim Amt zu schützen, ist das nicht eingetragene EU-Gemeinschaftsgeschmacksmuster (GGM). Es entsteht durch die bloße Offenbarung des GGM in der EU und bietet einen Schutz von 3 Jahren vor Nachahmungen. Die Schutzdauer ist bei Nichtanmeldung somit weit kürzer als im Falle der Registrierung. 

Das nicht eingetragene EU-GGM ist insbesondere für Branchen mit sehr kurzlebigen Produktzyklen interessant (z.B. Modebranche). Für diese Wirtschaftszweige ist ein grundsätzlicher – wenn auch im Umfang sehr viel geringerer – Schutz ohne Eintragungsformalitäten vorteilhaft und die Schutzdauer selbst von geringerer Bedeutung. 


Autorin: Gabriele Fuchs (Marken-, Design- und Patentreferentin)

Auswirkungen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes auf das Vergaberecht

Seit dem 01.01.2023 ist das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (kurz: Lieferkettengesetz bzw. LkSG) in Kraft. Von dem Gesetz sind derzeit Unternehmen mit mindestens 3.000 Arbeitnehmern betroffen (ab dem 01. Januar 2024 Unternehmen mit mind. 1.000 Arbeitnehmern). Das Lieferkettengesetz verpflichtet Unternehmen, in ihren Lieferketten menschenrechtliche und bestimmte umweltbezogene Sorgfaltspflichten in angemessener Weise zu beachten.

Auswirkungen auf die öffentliche Auftragsvergabe

Wenn ein Unternehmen gegen das Lieferkettengesetz verstößt, kann es mit Bußgeldern bestraft werden (§ 24 LkSG). Darüber hinaus droht nach § 22 LkSG der zeitweise Ausschluss von öffentlichen Vergabeverfahren für einen Zeitraum von bis zu drei Jahren. Ob ein Ausschluss möglich ist, hängt von der Höhe des Bußgeldes und der Art des Verstoßes ab. Je nach Art des Verstoßes kann Bietern bereits ab einem Bußgeld von 175.000 € ein Ausschluss drohen.

Bei § 22 LkSG handelt es sich um eine „Soll“-Vorschrift. Der Gesetzgeber räumt dem öffentlichen Auftraggeber damit ein sog. gebundenes Ermessen ein. Das bedeutet, dass der Auftraggeber zwar bei der Entscheidung, ob er von der Möglichkeit eines Ausschlusses Gebrauch macht, in jedem Einzelfall sein Ermessen ausüben muss, dass aber im Regelfall eine Entscheidung für den Ausschluss zu erwarten ist. Anderenfalls müssen besondere Umstände vorliegen, die eine Ausnahme von der Regel rechtfertigen.

Das Ermessen gilt auch im Hinblick auf die Dauer der Dreijahresfrist, da es sich dabei um eine Höchstfrist handelt. Die Dauer kann somit im Einzelfall auch kürzer ausfallen.

Das Gesetz regelt mit § 22 LkSG keine allgemeine Vergabesperre. Das bedeutet, die jeweilige Vergabestelle muss in jedem Einzelfall den Ausschluss des betroffenen Bieters prüfen. Zudem ist er vor einem Ausschluss anzuhören (§ 22 Abs. 3 LkSG).

Möglichkeit der Selbstreinigung

Das Vergaberecht sieht zudem die Möglichkeit vor, dass Unternehmen, die auf Grund von Verstößen gegen Rechtsvorschriften von Vergabeverfahren an sich auszuschließen sind, nach einer sog. Selbstreinigung wieder daran teilnehmen dürfen (§ 125 GWB). Das gilt auch für Verstöße gegen das Lieferkettengesetz (§§ 124 Abs. 2, 125 GWB und § 22 Abs. 1 LkSG).

Liegen die Voraussetzungen einer erfolgreichen Selbstreinigung vor und hat der Bieter diese vollständig nachgewiesen, ist ein Ausschluss vom Vergabeverfahren nicht mehr zulässig. Ab diesem Zeitpunkt besteht kein Ermessen des jeweiligen öffentlichen Auftraggebers mehr für einen Ausschluss.

Das bedeutet, betroffene Unternehmen sollten sich in derartigen Fällen umgehend mit der Möglichkeit der Selbstreinigung durch Wiederherstellung der Integrität und Zuverlässigkeit beschäftigen. Dazu gehören beispielsweise die Bereitschaft zum Schadensausgleich, Aufklärung der Fehler und präventive Compliance-Maßnahmen.  

Rechtsschutz gegen einen Ausschluss

Die Ausschlussregelungen des § 22 LkSG gelten sowohl für sog. Oberschwellenvergaben (europaweite Ausschreibung) als auch für Unterschwellenvergaben (nationale Ausschreibung). Gegen die Entscheidung des Ausschlusses haben Bieter im Oberschwellenbereich die Möglichkeit ein Nachprüfungsverfahren einzuleiten und damit ein effektives Rechtsschutzmittel. Im Unterschwellenbereich besteht, wie sonst auch, lediglich die Möglichkeit vor Auftragsvergabe einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zu stellen bzw. nach Auftragsvergabe Schadensersatz geltend zu machen.

Aus der Perspektive der öffentlichen Auftraggeber

Auch für die öffentlichen Auftraggeber bedeuten die Neuregelungen einen zusätzlichen Aufwand, da zum bisherigen Prüfkatalog ein weiterer Prüfungspunkt dazu gekommen ist. Wenn ein zu berücksichtigendes Bußgeld im Sinne des § 22 LkSG vorliegt, muss die Vergabestelle prüfen, ob ggfs. eine ausreichende Selbstreinigung erfolgte und falls dies nicht der Fall ist, das Ermessen wirksam ausüben.

Beratung durch MKM + PARTNER

Wir haben bei MKM + Partner zum Thema Lieferkettengesetz ein Beratungsteam gebildet, das aus den Rechtsanwältinnen/-en Vivien Demuth, Jane Hohmann, Susanne Janssen und Ralph Weiss besteht. Wir beraten sowohl betroffene Unternehmen und Zulieferer als auch Vergabestellen im Hinblick auf das Lieferkettengesetz.

Autor: Ralph Weiss (Rechtsanwalt/Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht)

Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes zur Lohnungleichheit – Ein Meilenstein

In einer bahnbrechenden Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) über den Grundsatz Equal Pay bei Männern und Frauen entschieden. Allein die Begründung des Arbeitgebers, die bessere Bezahlung eines männlichen Mitarbeiters basiere auf dem Umstand, er habe im Rahmen des Einstellungsgespräches besser verhandelt als die weibliche Mitarbeiterin, reicht nach Ansicht des BAG nunmehr nicht mehr aus.

Entscheidung des BAG

In seiner Entscheidung vom 16. Januar 2023 – Az.: 8 AZR 450/21 hatte das BAG entschieden, dass gleiche Bezahlung nicht wegverhandelt werden darf. Bisher wurde nur eine Pressemitteilung des BAG veröffentlicht, die konkrete Urteilsbegründung steht noch aus. Es bleibt daher abzuwarten, inwiefern das BAG eine ungleiche Bezahlung aufgrund anderer Aspekte, wie höherer Qualifikationen oder einer längeren Berufserfahrung zulässt. 

Sachverhalt

Der Entscheidung des BAG lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Klägerin, eine Vertriebsmitarbeiterin eines Metallunternehmens in Meißen war seit dem 01. März 2017 in dem Unternehmen beschäftigt. Im Rahmen des Einstellungsgespräches wurde zwischen der Klägerin und der Beklagten, dem Arbeitgeber, ein Grundgehalt i.H.v. 3.500 € brutto ausverhandelt. Ab August 2018 richtete sich die Vergütung der Klägerin nach dem Haustarifvertrag. In dem Haustarifvertrag wurde u.a. geregelt, dass eine Anpassung des Gehaltes um nicht mehr als 120,- € brutto in dem Zeitraum von 2018 bis 2020 erfolgt, wenn das neue tarifliche Grundgehalt das bisherige tarifliche Entgelt überschreitet. Infolge dessen wurde der Klägerin ab dem 1. August 2018 ein Grundgehalt i.H.v. 3.620 € brutto bezahlt, welches in jährlichen Schritten weiter abgehoben wurde. Bei der Beklagten waren als Außendienstmitarbeiter auch noch zwei männliche Mitarbeiter beschäftigt, einer davon seit dem 01. Januar 2017. Er wurde daher nur wenige Wochen vor der Klägerin eingestellt. Diesem Mitarbeiter wurde seitens der Beklagten im Einstellungsgespräch ein Bruttomonatsgehalt i.H.v. 3.500 € angeboten, was er jedoch ablehnte und vielmehr ein Bruttomonatsgehalt i.H.v. 4.500 € bis zum 31. Oktober 2017 aushandelte. Von November 2017 bis Juni 2018 erhielt der Arbeitnehmer, wie auch die Klägerin ein Grundgehalt von 3.500 €, zzgl. einer leistungsabhängigen Zusatzvergütung. Im Juli 2018 wurde sein Grundgehalt auf 4.000 € erhöht.

Mit der Klage begehrte die Klägerin die Zahlung rückständiger Vergütung für die Zeiträume von März bis Oktober 2017 i. H. v. 1.000 € und für den Monat Juli 2018 i. H. v. 500 € sowie rückständiger Vergütung für den Zeitraum von August 2018 bis Juli 2019 i.H.v. monatlich 500 €. Sie war der Auffassung, ihr sei ein ebenso hohes Grundentgelt zu zahlen, wie dem fast zeitgleich eingestellten männlichen Kollegen, der die gleiche Arbeitstätigkeit verrichtet, wie sie. Die Arbeitnehmerin sah darin eine Benachteiligung aufgrund ihres Geschlechts und forderte deshalb zusätzlich eine Entschädigungszahlung i.H.v. mindestens 6.000 €. 

Entscheidung der Vorinstanzen

Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab. Der männliche Mitarbeiter sei nur zu einem höheren Gehalt dazu bereit gewesen, die Arbeitsstelle anzunehmen. Die Gehaltsunterschiede in dem Unternehmen seien nach Ansicht der Vorinstanzen damit gerechtfertigt, dass das Unternehmen ein berechtigtes Interesse an der Mitarbeitergewinnung hatte und dem Mitarbeiter aufgrund dessen ein anfänglich höheres Gehalt auszahlte.

Begründung des BAG

Die Klägerin legte Revision bei dem BAG ein und hatte dort ganz überwiegend Erfolg. Nach Ansicht des BAG habe die Beklagte die Klägerin aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt, indem sie ihr ein deutlich niedrigeres Gehalt als den männlichen Kollegen ausgezahlt hatte, obwohl sie die gleiche Arbeit, wie der männliche Mitarbeiter verrichtete. Den Anspruch auf das gleiche Grundentgelt ergebe sich aus Art. 157 AEUV, §§ 3 Abs. 1, 7 EntgTranspG. Nach Art. 157 Abs. 1 AEUV muss jeder Mitgliedstaat die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit sicherstellen. Gemäß § 3 Abs. 1 EntgTranspG ist bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit eine unmittelbare oder mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts im Hinblick auf sämtliche Entgeltbestandteile und Entgeltbedingungen verboten. Nach Ansicht des BAG begründet der Umstand, dass die Klägerin für die gleiche Arbeit wie ihre männlichen Kollegen ein niedrigeres Gehalt erhalten hat, die Vermutung, dass eine Benachteiligung aufgrund des Geschlechts erfolgt ist. Der Arbeitgeber kann sich nicht darauf berufen, die ungleiche Bezahlung ergebe sich aus dem Umstand, dass der männliche Kollege ein höheres Entgelt ausgehandelt habe. Einer Frau steht auch dann ein Anspruch auf gleiche Bezahlung zu, wenn der männliche Kollege sein Gehalt besser verhandelt hat.

Die Klägerin hat daher einen Anspruch auf Nachzahlung der Differenzvergütung. Weiterhin hat das BAG der Klägerin eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG wegen der Benachteiligung aufgrund des Geschlechts i.H.v. 2.000 € zugesprochen.   

Fazit

Noch immer verdienen Frauen im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen in vergleichbaren Positionen deutlich weniger. Die Entscheidung des BAG ist ein weiterer Schritt, um die Lohngleichheit zwischen Männern und Frauen voranzubringen. Denn die bisherigen nationalen Gesetze, wie z.B. das EntgTranspG weisen zum Teil noch große Lücken auf. So sieht das EntgTranspG beispielsweise keine Sanktionen, wie die Zahlung von Bußgeldern im Falle eines Gesetzesverstoßes vor.

Da das Thema Lohngleichheit jedoch immer bedeutsamer wird, arbeitet u.a. auch die Europäische Union (EU) derzeit an einer Richtlinie, um die Lohnungleichbehandlung zwischen Männern und Frauen zu schließen. Der bisherige Richtlinienentwurf der EU sieht auch einen Auskunftsanspruch vor, wonach Beschäftigte einen Anspruch auf Auskunft über den Durchschnittslohn der anderen Mitarbeitenden erhalten sollen, aufgeschlüsselt nach Geschlecht und vergleichbarer Tätigkeit. Bereits am 29. März 2023 soll in dem Plenum des EU-Parlaments über diese Richtlinie abgestimmt werden. Sobald dies geschehen ist, wird die Richtlinie zeitnah veröffentlicht und tritt 20 Tage danach in Kraft. Die Mitgliedsstaaten sollen dann drei Jahre Zeit haben, die Anforderungen in nationales Recht umzusetzen.

Unternehmen sollten sich frühzeitig Gedanken über Lohntransparenz machen und sich darauf einstellen, dass die Löhne in ihrem Unternehmen in den nächsten Jahren transparenter werden.  

Autorin: Vivien Demuth (Rechtsanwältin)

Das neue Plattformen-Steuertransparenzgesetz

Am 20. Dezember 2022 wurde das Plattformen-Steuertransparenzgesetz (PStTG) zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2021/514 des Rates vom 22. März 2021 zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung vom Bundestag verabschiedet. Das Gesetz, welches zum 1. Januar 2023 in Kraft getreten ist, statuiert eine Meldepflicht für Transaktionen, die von Privaten und Unternehmen unter Verwendung digitaler Pattformen getätigt werden. Ziel ist der leichtere Zugang der Finanzbehörden zu unter Umständen steuerrelevanten Informationen im Zusammenhang mit solchen Geschäften.

Das PStTG betrifft lediglich Steuerverfahrensrecht – eine Änderung der Besteuerung von mithilfe von digitalen Plattformen getätigten Transaktionen beinhaltet das Gesetz nicht. Das heißt, Umsätze, die bisher nicht steuerbar waren, sind es fortan auch nicht.

Wer ist Adressat des Gesetzes?

Verpflichtete des PStTG sind Betreiber digitaler Plattformen wie Airbnb, Ebay, Momox und Uber. Sie müssen bestimmte Daten der Anbieter, die ihre Plattformen nutzen, erheben, plausibilisieren und an das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) übermitteln. Von dort werden die Daten an die zuständigen Finanzbehörden der Länder und von dort an die jeweiligen Finanzämter weitergeleitet, die diese im Besteuerungsverfahren berücksichtigen und gegebenenfalls überprüfen, ob der Verkäufer die Verkaufserlöse in seiner Steuererklärung angegeben hat.

Eine Plattform wird dabei im Gesetz definiert als „jedes auf digitalen Technologien beruhende System, das es Nutzern ermöglicht, über das Internet mittels einer Software miteinander in Kontakt zu treten und Rechtsgeschäfte abzuschließen“. Der Plattformbetreiber und Verpflichtete des Gesetzes ist somit kein Beteiligter am Rechtsgeschäft, sondern gibt nur die Gelegenheit dazu, dieses abzuschließen. Entsprechend sind Betreiber von Internetseiten, die ihre eigene Ware oder Dienstleistung vertreiben, durch das Gesetz nicht verpflichtet.

Ist ein Plattformbetreiber sich nicht sicher, ob er nach diesem Gesetz meldepflichtig ist, kann er beim BZSt eine kostenpflichtige Auskunft zu dieser Frage einholen.

Welche Rechtsgeschäfte sind erfasst?

Das Gesetz sieht vor, dass von einem Anbieter eine „relevante Tätigkeit“ gegen eine Vergütung erbracht wird, damit die Meldepflicht eintritt. Dies ist

  1. eine zeitlich begrenzte Überlassung von Nutzungen und Rechten an unbeweglichem Vermögen,
  2. eine persönliche Dienstleistung wie Beförderungs- und Lieferdienste,
  3. der Verkauf von Waren oder
  4. die Überlassung von Nutzungen und anderen Rechten jeder Art an Verkehrsmitteln.

Ausgenommen von der Meldepflicht sind Daten „freigestellter Anbieter“. Dies sind u.a. natürliche Personen und Rechtsträger, deren Transaktionen auf der Plattform unter eine Bagatellgrenze fallen: Sie führen pro Meldezeitraum (=Kalenderjahr) weniger als 30 Transaktionen mit einem Gesamtvergütungsvolumen von weniger als 2.000 Euro durch. Transaktionsdaten sammeln, aufbereiten und auswerten muss der Plattformbetreiber allerdings auch in Bezug auf diese freigestellten Anbieter.

Ein Plattformbetreiber kann sich von der Meldepflicht befreien lassen, wenn er gegenüber dem BZSt nachweist, dass seine Plattform nur von freigestellten Anbietern genutzt wird.

Welche Daten müssen gemeldet werden?

Ist der Anbieter eine natürliche Person, müssen

  1. Vor- und Nachname
  2. Anschrift
  3. die Steuer-IdNr., falls nicht vorhanden – Geburtsort
  4. die Identifikationsnummer für Umsatzsteuerzwecke, falls vorhanden
  5. das Geburtsdatum
  6. die Kennung des Finanzkontos, falls vorhanden, sowie den Namen seines Inhabers, falls er vom Namen des Anbieters abweicht
  7. jeder Mitgliedstaat der EU, in dem der Anbieter als ansässig gilt, oder in dem das unbewegliche Vermögen belegen ist, in Bezug auf das der Anbieter Rechtsgeschäfte über die Plattform abgeschlossen hat,
  8. Gebühren, Provisionen oder Steuern, die in jedem Quartal des Meldezeitraums vom Plattformbetreiber einbehalten oder berechnet wurden,
  9. die in jedem Quartal des Meldezeitraums insgesamt gezahlte oder gutgeschriebene Vergütung, und
  10. die Zahl der Transaktionen, für die dem Anbieter in jedem Quartal des Meldezeitraums eine Vergütung gezahlt oder gutgeschrieben wurde,

gemeldet werden.

Ist der Anbieter eine juristische Person, eine Personenvereinigung oder eine Vermögensmasse, müssen

  1. der eingetragene Name
  2. die Sitzanschrift
  3. jede Steuer-IdNr, die dem Anbieter erteilt wurde, und der EU-Staat, der sie erteilt hat,
  4. die Identifikationsnummer für Umsatzsteuerzwecke, falls vorhanden
  5. die Handelsregisternummer,
  6. das Bestehen einer Betriebsstätte in der EU, über die für dieses Gesetz relevante Tätigkeiten ausgeübt werden, falls vorhanden, und
  7. die oben in Nrn. 6-10 genannten Informationen

gemeldet werden.

Zusätzlich zu den meldepflichtigen Informationen sieht das Gesetz die Erhebung weiterer personenbezogener Daten vor.

Wie werden die Daten durch den Plattformbetreiber erhoben?

Die Anbieter sind verpflichtet, den Plattformbetreibern die notwendigen Informationen zur Verfügung zu stellen.

Legt ein Anbieter die geforderten Daten auch nach zweimaliger Erinnerung durch den Plattformbetreiber nicht vor, hat letzterer die Nutzung der Plattform durch den unkooperativenen Anbieter zu verhindern oder die dem Anbieter gezahlte Vergütung einzubehalten. Die Meldung hat bis zum 31. Januar des Jahres, das auf das Jahr folgt, in welchem ein Anbieter als meldepflichtig identifiziert worden ist, zu erfolgen.

Merkt der Plattformbetreiber, dass eine Meldung nicht oder unrichtig erfolgt ist, hat er die Meldung unverzüglich nachzuholen oder zu korrigieren. Das nicht rechtzeitige Melden stellt eine Ordnungswidrigkeit dar, die mit einem Bußgeld in Höhe von bis zu 30.000 Euro bewehrt ist.

Der Plattformbetreiber ist verpflichtet, bestimmte erhebungs- und meldepflichtige Daten einer Plausibilitätsprüfung zu unterziehen. Die Überprüfung des Namens eines Anbieters soll beispielsweise anhand von behördlichen Ausweisdokumenten, Finanzinformationen, Emails und sonstigen Angaben, über die der Plattformbetreiber in seinen Unterlagen verfügt, vollzogen werden. Für die Überprüfung der Gültigkeit der Steuer-IdNr. und der Ust-IdNr. soll der Plattformbetreiber alle öffentlich verfügbaren automatischen Prüfsysteme nutzen.

Stellt der Plattformbetreiber fest, dass gewisse Angaben des Anbieters nicht plausibel sind, hat er unverzüglich neue Informationen zu erheben. Im Falle eines „Berichtigungsverlangens“ des BZSt – etwa aufgrund eigener Ermittlungen – muss der Plattformbetreiber die von ihm gemachten Angaben durch Belege bestätigen.

Auswirkungen des Gesetzes für Plattformnutzer und Plattformbetreiber

Privatpersonen, die beispielsweise auf Ebay Gebrauchtgegenstände verkaufen, ist zu raten, über die getätigten Verkäufe für den Fall einer Überprüfung durch die Steuerbehörde buchzuführen. An den Steuerfreigrenzen für private Verkäufe und der Grenzziehung zur Gewerbsmäßigkeit ändert sich durch das neue Gesetz nichts. Für Plattformbetreiber, die zu „Verwaltungsgehilfen“ der Steuerbehörden werden, bestehen die Konsequenzen in einem großen bürokratischen Mehraufwand, welcher kleinere Plattformbetreiber voraussichtlich stärker treffen wird als größere. Auch kann unter Umständen – im Falle der fehlenden Mitwirkung von Anbietern und den folgenden Sanktionsmaßnahmen – mit Umsatzeinbußen der Plattformbetreiber gerechnet werden.

Autorin: Susanne Janssen (Rechtsanwältin)

Casino Loyal – Verbotenes Spiel mit den Mitarbeitern des Konkurrenten

Ich mache ihm ein Angebot, dass er nicht ablehnen kann.“ Dieser berühmte Satz aus dem Film „Der Pate“ steht sinnbildlich für eine eher unmoralische Offerte. Mit diesem Artikel soll der Frage nachgegangen werden, wann das Abwerben von Mitarbeitern bei der Konkurrenz nicht nur unmoralisch, sondern auch gesetzlich verboten ist.

Der Mitarbeiter als Freiwild

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat zu diesem Thema einen recht nachvollziehbaren Grundsatz geprägt, der den HR-Abteilungen in Bezug auf die eigenen Schäfchen nicht schmecken wird: „Arbeitgeber haben keinen Anspruch darauf, dass der Bestand ihrer Mitarbeiter vor Konkurrenz geschützt wird. Als Folge des freien Wettbewerbs müssen es Arbeitgeber hinnehmen, dass Mitarbeiter abgeworben werden.“ (BGH, Urteil vom 30.04.2014, Aktenzeichen I ZR 245/12). So wie man wechselwillige Mitarbeiter nur schlecht aufhalten kann, ist es eben den Mitbewerbern grundsätzlich gestattet, die Mitarbeiter der Konkurrenz anzusprechen und mit besseren Konditionen zu locken.

Grundsätzlich kein Mittel dagegen sind zum einen einschränkende Regelungen in den Arbeitsverträgen, die den Mitarbeitern den Wechsel erschweren sollen – dieser Umstand soll hier aber nicht vertieft werden. Wie § 75f HGB zeigt, ist zum anderen auch davon abzuraten, mit den Mitbewerbern irgendwelche Absprachen im Sinne eines „Nichtabgriffspakts“ zu vereinbaren.

Der Vertragsbruch des Mitarbeiters

Allerdings ist eine Grenze der Abwerbung da zu sehen, wo der Mitarbeiter einen Vertragsbruch begeht und der Mitbewerber ihn dazu verleitet. Verleiten bedeutet in diesem Zusammenhang, dass man die noch bestehende Bindung des Beschäftigten kennt oder es einem letztlich gleichgültig ist – auf eine konkrete Verleitungsabsicht kommt es also nicht an. Nicht entscheidend soll auch sein, ob der Mitarbeiter den ersten Schritt gemacht hat oder ob er schon vorher mehr oder minder zum Vertragsbruch neigte.

Vertragsbruch bedeutet, dass der Beschäftigte eine wesentliche Vertragspflicht verletzt, also maßgeblich gegen seine Leistungspflicht oder z.B. gegen ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot verstößt. Wenn einem das Kunststück gelingt, nachzuweisen, dass der Arbeitnehmer durch sein Verhalten eine fristlose Kündigung provoziert hat, nur um schnell den Arbeitgeber wechseln zu können, kann dies dem bisherigen Arbeitgeber Ansprüche gegen den mitwissenden Konkurrenten bescheren. 

Ganz im Vertrauen

Nicht ganz unberechtigt erscheint die Angst des Arbeitgebers, dass ein scheidender Mitarbeiter auf dem Weg zur Konkurrenz noch ein paar Kollegen mitzieht; nicht selten wird der Arbeitgeber hier wegen fehlendem Vertrauen eine Freistellung aussprechen. Der Mitbewerber haftet für die interne Abwerbeaktion jedoch nur, wenn noch besondere unlautere Umstände hinzukommen. Dazu genügt wieder das oben beschrieben Verleiten, aber auch ein planvolles Vorgehen, mit dem der Konkurrent bei der Erbringung seiner Leistung am Markt in unangemessener Weise behindert werden soll. In der Rechtsprechung spricht man hier auch gerne von einem „putsch- oder handstreichartigen“ Vorgehen, was zum „War of Talents“ wie die Faust aufs Auge passt.

Diskutieren kann man, ob nicht auch zwischen Unternehmen ein Vertrauensverhältnis bestehen könnte, demnach es per se wettbewerbswidrig ist, dem Vertragspartner die maßgeblichen Beschäftigten wegzunehmen. Die Latte der Unlauterkeit muss in solchen Konstellationen allerdings sehr hoch gesetzt werden, um nicht den Grundsatz des freien Wettbewerbs um die besten Mitarbeiter auszuhöhlen und zu entwerten.

Jetzt wird`s kriminell

Unter Umständen können Abwerbeaktionen auch ein Fall für den Staatsanwalt werden, insbesondere bei einem sehr strategischen Vorgehen eines Konkurrenten. So kann die Nutzung von Mitarbeiterlisten, die wechselwillige Beschäftigte mitgehen lassen und z.B. private Kontaktdaten beinhalten, Ansprüche und Verantwortlichkeiten nach §§ 4, 23 Geschäftsgeheimnisgesetz (GeschGehG) auslösen. Auch eine Beteiligung oder gar Mittäterschaft an einer strafbaren Untreue nach § 266 StGB zulasten des ehemaligen Arbeitgebers kommt in Betracht: „Human Capital“ ist ein Vermögenswert, der in der Regel mit einer Treuepflicht von leitenden Angestellten korrespondiert.

Schlussbetrachtung

Als Fazit kann man festhalten, dass man sich vorsehen sollte, zu forsch auf Mitarbeiterfang zu gehen, da man der Konkurrenz ansonsten Anlass für anwaltliche Abmahnungen und Wettbewerbsprozesse bietet. Übrigens: Wenn ein Mitarbeiter rechtswidrig vom Konkurrenten abgeworben wurde und der Gang zum Anwalt keine befriedigende Lösung darstellt, können im gewissen Rahmen auch Maßnahmen zur Rückgewinnung getroffen werden, die ansonsten unlauter wären. Mafiöses Vorgehen wie im Film der Pate ist derweil nie zu empfehlen – kommen Sie vorher lieber zu uns und lassen Sie sich zum Thema beraten!

Verjährung – Verfall – Übertragung: Worauf haben Arbeitgeber bei Urlaubsansprüchen zu achten

Das Urlaubsrecht wurde in den letzten Jahren durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und des Bundesarbeitsgerichts (BAG) stark verändert und verkompliziert. Dieser Beitrag soll Ihnen einen kurzen Überblick über die wichtigsten Punkte zum Umgang mit Urlaubsansprüchen geben und aufzeigen, was Arbeitgeber zu beachten haben.

1. Verfall von Urlaubsansansprüchen

Bereits am 06.11.2019 hat der EuGH (Az.: C-684/16) die Regelungen zum Verfall von Urlaubsansprüchen grundlegend verändert. Bis zu diesem Urteil wurde angenommen, dass Urlaubsansprüche mit dem Ende des Urlaubsjahres, spätestens zum 31.03. des Folgejahres verfallen, wenn der Arbeitnehmer sie nicht in Anspruch genommen hat. 

a) Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers
Der EuGH hat in seiner Entscheidung festgelegt, dass Urlaubsansprüche nur verfallen, wenn Arbeitgeber die Arbeitnehmer zuvor in die Lage versetzt haben, den Urlaubsanspruch wahrzunehmen und die Arbeitnehmer diesen aus freien Stücken nicht genommen haben. Arbeitgeber sind daher verpflichtet, die Arbeitnehmer über ihren konkreten Urlaubsanspruch zu belehren, wenn sie verhindern wollen, dass die Arbeitnehmer Urlaubsansprüche anhäufen.

Arbeitgeber haben ihre Arbeitnehmer daher aufzufordern, ihren Urlaub zu nehmen und ihnen klar und rechtzeitig mitzuteilen, dass der Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder eines Übertragungszeitraumes verfällt, wenn sie ihn nicht beantragen. Es soll genügen, wenn der Arbeitgeber zu Jahresbeginn in Textform mitteilt, wie viele Arbeitstage Urlaub dem Arbeitnehmer im Kalenderjahr zustehen und auffordert, den Jahresurlaub so rechtzeitig zu beantragen, dass er im laufenden Urlaubsjahr genommen werden kann. Zugleich hat der Arbeitgeber über die Konsequenzen zu belehren, die eintreten, wenn die Arbeitnehmer ihren Urlaub nicht nehmen (vgl. BAG, Urteil vom 19.02.2019 – 9 AZR 423/16). 

b) Zusatzurlaub schwerbehinderter ArbeitnehmerIn einem Urteil vom 26.04.2022 hat das BAG (Az.: 9 AZR 367/21) klargestellt, dass die Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers durch den Hinweis auf den Verfall und die rechtzeitige Urlaubsnahme auch für Zusatzurlaub von schwerbehinderten Menschen gilt. Sofern der Arbeitgeber aber keine Kenntnis von der Schwerbehinderung des Arbeitnehmers hat und diese auch nicht offenkundig ist, verfällt der Zusatzurlaub nach den gesetzlichen Regelungen, unabhängig davon, ob der Arbeitgeber den Arbeitnehmer entsprechend belehrt hat. In den Fällen des Verfalls von Zusatzurlaub sind jedoch Besonderheiten zu beachten, wenn etwa ein Antrag auf Schwerbehinderung abgelehnt wurde und der Arbeitnehmer hiergegen Widerspruch eingelegt hat. Bei Fragen kommen Sie daher gerne auf Frau Rechtsanwältin Jane Hohmann zu. 


c) Langzeiterkrankte ArbeitnehmerLange war umstritten, ob die Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers auch bei langzeiterkrankten Arbeitnehmern gewahrt werden muss, obwohl diese nicht in der Lage sind, ihren Urlaub in Anspruch zu nehmen. Der EuGH (Urteil vom 22.09.2022 – C-518/20, C-727/20) verlangt auch in diesen Fällen, dass Arbeitgeber die Arbeitnehmer in die Lage versetzen, ihren Urlaubsanspruch wahrzunehmen. Diese Pflicht besteht jedoch nur, wenn der Arbeitnehmer im jeweiligen Urlaubsjahr gearbeitet hat, bevor er voll erwerbsgemindert oder krankheitsbedingt arbeitsunfähig geworden ist.

Hat der Arbeitnehmer im gesamten Urlaubsjahr nicht gearbeitet, ist er nicht über den Urlaubsverfall zu belehren. Der Urlaubsanspruch verfällt dann – auch ohne Belehrung – mit Ablauf der 15-Monatsfrist, wenn der Arbeitnehmer seit Beginn des Urlaubsjahres durchgehend bis zum 31.03. des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres aus gesundheitlichen Gründen gehindert war, seinen Urlaub zu nehmen (BAG, Urteil vom 20.12.2022 – 9 AZR 245/19).


2. Verjährung

Auch bei der Verjährung wirken sich die Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers aus.

a) Laufendes Arbeitsverhältnis
Im bestehenden Arbeitsverhältnis tritt eine Verjährung des Urlaubsanspruchs nur ein, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer tatsächlich in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch zu nehmen (EuGH, Urteil vom 22.09.2022 – C-120/21). Das BAG hat diese Rechtsprechung im Urteil vom 20.12.2022 (Az.: 9 AZR 266/20) fortgeführt und entschieden, dass die Verjährungsfrist von Urlaubsansprüchen erst mit dem Schluss des Jahres beginne, in dem der Arbeitgeber seine Mitwirkungsobliegenheit erfüllt hat. 

b) Nach Beendigung des ArbeitsverhältnissesIn einer Entscheidung vom 31.01.2023 (Az.: 9 AZR 456/20) hat das BAG zum Beginn der Verjährungsfrist von Urlaubsabgeltungsansprüchen bei einem beendeten Arbeitsverhältnis Stellung genommen. Die Verjährungsfrist von Urlaubsabgeltungsansprüchen beginnt danach solange nicht, wie eine Klageerhebung aufgrund einer gegenteiligen höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht zumutbar ist.

In dem Urteil ging es um Urlaubsansprüche eines Arbeitnehmers aus den Jahren von 2010 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Oktober 2015. Das BAG hat hinsichtlich der Verjährung der Urlaubsabgeltungsansprüche zwischen Urlaubsabgeltungsansprüchen von 2010 bis 2014 und denjenigen aus 2015 unterschieden. Für 2015 sind nach Ansicht des BAG die Urlaubsabgeltungsansprüche verjährt, weil es für den Arbeitnehmer erkennbar war, dass mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses Urlaubsansprüche aus diesem Jahr abzugelten sind. Aufgrund der bisherigen Rechtsprechung des BAG war es aber für den Kläger hinsichtlich der Jahre 2010 bis 2014 nicht ersichtlich, dass noch Urlaubsabgeltungsansprüche bestehen, da er von einem Verfall ausgehen musste. Hinsichtlich dieser Urlaubsabgeltungsansprüche war der Kläger daher erst nach der Rechtsprechung des EuGH gehalten, die Abgeltung für Urlaubsansprüche aus 2010 bis 2014 gerichtlich geltend zu machen.

Die Urteilsgründe sind bisher noch nicht veröffentlicht. Es bleibt daher abzuwarten, ob das BAG ggfs. sogar eine Beweislastumkehr hinsichtlich der Geltendmachung von Urlaubsabgeltungsansprüchen vorsieht. Die weitere Entwicklung behalten wir für Sie im Blick und informieren Sie unmittelbar.

Das BAG hat in zwei Urteilen aus dem Jahr 2022 (Az.: 9 AZR 461/21 und 9 AZR 341/21) zudem bestätigt, dass der Urlaubsabgeltungsanspruch als reiner Geldanspruch aufgrund einer wirksamen Ausschlussfrist entfallen kann. Es ist daher zu empfehlen, die Arbeitsverträge und die darin enthaltenen Ausschlussfristen zu prüfen und ggfs. anzupassen. 

3. Fazit

Es ist Arbeitgebern anzuraten, entsprechende Hinweisschreiben an die Arbeitnehmer zu verteilen, um den Verfall von Urlaubsansprüchen oder eine Verjährung zu erreichen. Der Hinweis sollte zu Beginn eines jeden Jahres an die Mitarbeiter erfolgen, um auch Mitarbeiter zu erfassen, bei denen ggfs. im Laufe des Jahres eine Erwerbsminderung festgestellt wird. Bei Fragen wenden Sie sich gerne an unsere Arbeitsrechtsexperten Frau Jane Hohmann, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht und Frau Vivien Demuth, Rechtsanwältin.

Änderungen zu Jahreswechsel 2022/2023 im Arbeitsrecht

Pünktlich zum Jahreswechsel sind zahlreiche Gesetzesänderungen in Kraft getreten. Wir geben Ihnen nachfolgend einen kurzen Überblick über die wichtigsten Neuerungen im Arbeitsrecht, die für Ihre tägliche Praxis wichtig sind.

1. Begründungspflicht bei Ablehnung von Anträgen auf Teilzeit in der Elternzeit sowie Pflege- und Familienpflegezeit in kleineren Betrieben

Arbeitnehmer aus Betrieben mit weniger als 16 Arbeitnehmern haben keinen Anspruch auf eine Teilzeitbeschäftigung während der Elternzeit nach § 15 Abs. 7 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG). Eine Teilzeittätigkeit während der Elternzeit ist für sie daher nur über eine einvernehmliche Regelung mit dem Arbeitgeber möglich. Bislang bestand bei einer Ablehnung einer Teilzeittätigkeit während der Elternzeit gemäß § 15 Abs. 5 BEEG für den Arbeitgeber keine Begründungspflicht, wenn der Schwellenwert von mindestens 16 Arbeitnehmern nicht erreicht wurde. Arbeitgeber konnten den Antrag auf Elternzeit in diesen Kleinbetrieben somit ohne Angabe von Gründen ablehnen.

Im Rahmen der Umsetzung der europäischen Vereinbarkeitsrichtlinie wurde diese Regelung angepasst. Seit dem 24.12.2022 können nunmehr auch Arbeitgeber aus Betrieben mit weniger als 16 Arbeitnehmern einen Antrag auf Teilzeitbeschäftigung während der Elternzeit nur innerhalb einer Frist von 4 Wochen mit einer Begründung ablehnen. Eine Sanktion bei Verpassen dieser Frist ist im Gesetz aber nicht vorgesehen.

Tipp: Setzen Sie im Falle von Teilzeitanträgen während der Elternzeit eine Wiedervorlage zur Fristeinhaltung und begründen Sie Ablehnungen von Anträgen entsprechend.

Im Rahmen der Umsetzung der europäischen Vereinbarkeitsrichtlinie wurde auch für Betriebe mit bis zu 15 Beschäftigten ein Anspruch auf Abschluss einer Vereinbarung über eine Freistellung nach dem Pflegezeitgesetz und in Betrieben mit bis zu 25 Beschäftigten ein solcher nach dem Familienpflegezeitgesetz geregelt. Einen Anspruch auf Familien- oder Pflegezeit selbst gibt es aber weiterhin nicht; die Mitarbeiter können lediglich einen Antrag stellen, über den der Arbeitgeber entsprechend entscheiden muss. Auch hierbei ist eine Ablehnung nur noch innerhalb von 4 Wochen mit einer Begründung möglich.

2. Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Seit dem 01.01.2023 ist die Pflicht zur Einreichung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung entfallen. Der Arzt übermittelt die Krankheitsdaten nunmehr auf elektronischem Weg direkt an die jeweilige Krankenkasse. Der Arbeitgeber kann dann die aus diesen Daten generierte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bei der Krankenkasse abrufen. Welche Pflichten die Arbeitnehmer im Krankheitsfall weiterhin haben und welche Folgen sich hieraus für Arbeitgeber ergeben, lesen Sie in unserem weiteren Newsletterartikel „Elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung: Eine Erleichterung für Arbeitnehmer und Arbeitgeber?“. (siehe Artikel von Rechtsanwältin Vivien Demuth weiter unten)

3. Möglichkeit der virtuellen Betriebsversammlung

Die Sonderregelung aus § 129 Betriebsverfassungsgesetz zur Ermöglichung von virtuellen Betriebsversammlungen sowie Jugend- und Auszubildendenversammlungen wurde bereits am 17.09.2022 bis zum 07.04.2023 verlängert. 

4. Verlängerung des erleichterten Zugangs zum Kurzarbeitergeld

Die befristeten Sonderregelungen für den erleichterten Zugang zum Kurzarbeitergeld wurden nochmals bis zum 30.06.2023 verlängert. Leiharbeitnehmer können daher weiterhin Kurzarbeitergeld beziehen. Zusätzlich wird auch lediglich verlangt, dass mindestens 10 Prozent der Belegschaft eines Betriebes oder einer Betriebsabteilung von einem Entgeltausfall betroffen sein müssen, statt einer Anzahl von mindestens einem Drittel. Auf den Aufbau negativer Arbeitszeitsalden (Minusstunden) vor der Gewährung von Kurzarbeitergeld wird vollständig verzichtet. 

5. Die Anhebung der Midijob-Grenze

Mit der Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns wurde auch die Grenze für Minijobs von 450,00 € auf 520,00 € erhöht. Zugleich wurde bereits im Oktober 2022 die Grenze für sog. Midijobs auf 1.600,00 € angehoben. Zum 01.01.2023 wurde diese Grenze als Teil des Entlastungspakets nunmehr nochmals auf 2.000,00 € angehoben.

Als Midijobs werden Beschäftigungsverhältnisse bezeichnet, bei denen der Arbeitnehmer zwischen 520,01 € bis zu 2.000,00 € verdient. Im Rahmen eines Midijobs besteht zwar eine Sozialversicherungspflicht, sodass die Arbeitnehmer Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung sowie zur Arbeitslosen- und Rentenversicherung zahlen müssen. Die zu entrichtenden Beiträge sind jedoch stark reduziert. 

6. Pflicht zur elektronischen Übermittlung von Arbeitsbescheinigungen

Im Rahmen der Beendigung von Arbeitsverhältnissen haben Arbeitgeber bei Aufforderung durch den Arbeitnehmer oder die Agentur für Arbeit eine Arbeitsbescheinigung auszustellen. Der Arbeitnehmer konnte bislang entscheiden, ob er mit einer elektronischen Übermittlung an die Agentur für Arbeit einverstanden ist. Dieses Wahlrecht ist nunmehr weggefallen. Seit dem 01.01.2023 ist nur noch eine rein digitale Übermittlung von Arbeitsbescheinigungen möglich und die Nutzung des digitalen Verfahrens für Arbeitgeber verpflichtend. Die ausgeschiedenen Mitarbeiter erhalten nach der elektronischen Übermittlung an die Agentur für Arbeit einen Nachweis der übermittelten Daten.

Da gesetzlich keine Übergangsfrist vorgesehen ist, sollten Arbeitgeber die Voraussetzungen zur elektronischen Übermittlung prüfen, um weiterhin Arbeitsbescheinigungen entsprechend der gesetzlichen Verpflichtung übermitteln zu können. Auf der Homepage der Agentur für Arbeit können Arbeitgeber testen, ob ihre Lohnabrechnungssoftware die zertifizierte, elektronische Übermittlung der Bescheinigungen unterstützt. Alternativ können sie die Ausfüllhilfe sv.net nutzen. 

7. Fünfte Verordnung über eine Lohnuntergrenze in der Arbeitnehmerüberlassung

Im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung haben Leiharbeitnehmer einen Anspruch auf ein als Lohnuntergrenze festgesetztes Mindeststundenentgelt. Die dazu geltende Vierte Verordnung über eine Lohnuntergrenze ist am 31.12.2022 außer Kraft getreten und wurde zum 01.01.2023 durch die Fünfte Verordnung abgelöst. Sie ist befristet bis zum 31.03.2024.

Die Lohnuntergrenze für Leiharbeitnehmer liegt damit bei einem Mindeststundenentgelt:

  • vom 01.01.2023 bis zum 31.03.2023 bei 12,43 € brutto,
  • vom 01.04.2023 bis zum 31.12.2023 bei 13,00 € brutto,
  • vom 01.01.2024 bis zum 31.03.2024 bei 13,50 € brutto.

Bei Fragen wenden Sie sich gerne an unsere Arbeitsrechtsexperten Frau Jane Hohmann, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht und Frau Vivien Demuth, Rechtsanwältin.

Elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung: Eine Erleichterung für Arbeitnehmer und Arbeitgeber?

Seit dem 01.01.2023 sind – nach einigen Verzögerungen – neue gesetzliche Regelungen zu den Nachweispflichten der Arbeitnehmer im Falle der Arbeitsunfähigkeit in Kraft getreten. Nunmehr werden nicht mehr alle Arbeitnehmer dazu verpflichtet, sich eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU-Bescheinigung) für den Arbeitgeber vom behandelnden Arzt ausstellen zu lassen und dem Arbeitgeber vorzulegen. Sinn und Zweck der neuen gesetzlichen Regelungen ist es, eine Erleichterung sowohl für Arbeitnehmer als auch für Arbeitgeber zu erreichen. Jedoch ist die Gesetzesneuerung mit wesentlichen Unsicherheiten auf allen Seiten verbunden.

Bisherige Rechtslage

Bis einschließlich Dezember 2022 hatten Arbeitnehmer gemäß § 5 Abs. 1 S. 2 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) die gesetzliche Pflicht, sich eine ärztliche Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer ausstellen zu lassen sowie spätestens am 4. Tag der Arbeitsunfähigkeit die Bescheinigung dem Arbeitgeber vorzulegen, wenn die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage andauerte. Der Arbeitgeber war dazu berechtigt, die Vorlage der ärztlichen Bescheinigung auch schon früher zu verlangen.

Neue Gesetzeslage

Nunmehr sind Arbeitnehmer, die gesetzlich krankenversichert sind gemäß § 5 Abs. 1a EFZG nicht mehr dazu verpflichtet, sich im Falle einer Arbeitsunfähigkeit eine AU-Bescheinigung in Papierform für den Arbeitgeber vom Arzt ausstellen zu lassen. Der behandelnde Arzt übermittelt die Daten nunmehr direkt auf elektronischem Weg an die jeweilige Krankenkasse. Der Arbeitgeber muss die Daten dann bei der Krankenkasse abrufen.

Dem gesetzlich krankenversicherten Arbeitnehmer obliegt aber dennoch die Pflicht, zu den in § 5 Abs. 1 S. 2 bis 4 EGFZG genannten Zeitpunkten (wie unter anderem einer Arbeitsunfähigkeit, die länger als 3 Tage andauert) sich seine Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer ärztlich feststellen zu lassen und sich vom Arzt eine AU-Bescheinigung in Papierform (Exemplar für den Versicherten) aushändigen zu lassen. Auf der AU-Bescheinigung (Exemplar für den Versicherten) sind Daten, wie u.a. der behandelnde Arzt und der ICD-Diagnoseschlüssel genannt. Der Arbeitgeber soll über diese Angaben allerdings keine Kenntnisse erlangen, sodass die Vorlage einer solchen AU-Bescheinigung (Exemplar für den Versicherten) nicht vom gesetzlich versicherten Arbeitnehmer verlangt werden sollte.

Ausnahmeregelungen

Arbeitnehmer, die privat krankenversichert sind oder von einem Arzt behandelt werden, der nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnimmt sowie Personen, die eine geringfügige Beschäftigung in Privathaushalten ausüben (§ 8a SGB IV) müssen weiterhin ihrem Arbeitgeber eine AU-Bescheinigung in Papierform (Ausfertigung für den Arbeitgeber) vorlegen. Weitere Ausnahmeregelungen ergeben sich gemäß § 5 Abs. 2 EFZG für Arbeitnehmer, die sich zu Beginn der Arbeitsunfähigkeit im Ausland aufhalten.

Pflicht zur unvertüglichen Anzeige

Die Arbeitnehmer sind dennoch weiterhin gesetzlich dazu verpflichtet, dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitzuteilen. Dies gilt auch bei einer Fortsetzungserkrankung über den angegebenen Zeitraum hinaus.

Auswirkungen auf arbeitsvertragliche Klauseln

Enthalten Ihre Arbeitsverträge, die vor dem Jahr 2023 geschlossen wurden, Klauseln, die dem Arbeitnehmer die Pflicht zur Vorlage einer AU-Bescheinigung in Papierform (Exemplar für den Arbeitgeber) auferlegen, so entfalten diese Regelungen diesbezüglich keine Wirkung mehr. Die o.g. gesetzlichen Ausnahmefälle sind hiervon ausgenommen.

Sollte Ihrerseits Beratungsbedarf bestehen, ob es dennoch zulässig ist, allen Arbeitnehmern weiterhin die Pflicht aufzuerlegen, eine AU-Bescheinigung (Exemplar für den Arbeitgeber) in Papierform vorzulegen bzw. wünschen Sie eine Anpassung Ihrer Arbeitsverträge auf die aktuelle Rechtslage, dann nehmen Sie gern Kontakt mit uns auf.

Hinsichtlich der datenschutzrechtlichen Aspekte, die bei der Einführung der elektronischen AU-Bescheinigung zu beachten sind, möchten wir nochmals auf den bereits im Oktober 2022 von Cansu Muti erschienen Artikel „Die elektronische Arbeitsunfähgkeitsbescheinigung (eAU) – was ist datenschutzrechtlich zu beachten“ hinweisen.

Fazit

Die gesetzlichen Änderungen zu den Nachweispflichten der Arbeitnehmer im Falle der Arbeitsunfähigkeit sind bei vielen derzeit noch mit gewissen Unsicherheiten verbunden. Sofern allerdings die Arbeitnehmer von ihrem Arbeitgeber konkret über die gesetzlichen Neuerungen sowie die weiterhin für sie bestehenden Pflichten informiert werden und sich auch die gesetzlichen Krankenkassen auf die technische Umsetzung der Neuerung vollständig eingestellt haben, wird die elektronische AU-Bescheinigung zu einer wesentlichen Erleichterung zumindest für Arbeitnehmer führen.

Bei Fragen wenden Sie sich gerne an unsere Arbeitsrechtsexperten Frau Rechtsanwältin Vivien Demuth und Frau Rechtsanwältin Jane Hohmann, Fachanwältin für Arbeitsrecht.

Wir beschweren uns – aber wo? Meldesysteme nach LkSG und HinSchG

1. Hintergrund


Das Thema ESG (Environment, Social, Governance) wird gesellschaftlich immer wichtiger. Darauf reagiert auch der Gesetzgeber, weshalb im Jahr 2023 zwei (mit immensem bürokratischem Aufwand verbundene) Gesetze zur Stärkung von Nachhaltigkeit und Compliance in Kraft treten.

Bereits seit dem 01.01.2023 gilt das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (kurz Lieferkettengesetz oder LkSG). Es soll für Transparenz und nachhaltige, faire Arbeitsbedingungen sorgen, indem große Unternehmen Verantwortung für die Menschenrechte und Umwelt nicht nur im eigenen Geschäftsbereich, sondern auch in ihrer Lieferkette übernehmen – d. h. auch außerhalb Deutschlands. Teil dieser Verantwortung ist ein Beschwerdesystem, bei dem eigene Mitarbeiterinnen, Lieferantinnen und deren Mitarbeiterinnen Verstöße gegen die Vorgaben des LkSG melden können, so z. B. bei unsicheren Arbeitsbedingungen.

Ebenfalls 2023, jedoch voraussichtlich erst im Mai oder Juni, tritt das Hinweisgeberschutzgesetz (kurz HinSchG) in Kraft. Hierdurch sollen sog. Whistleblowerinnen, die auf bestimmte Missstände in Unternehmen und Behörden aufmerksam machen, geschützt werden. Dafür müssen alle verpflichteten Stellen Meldestellen und -kanäle einrichten, über die Whistleblowerinnen Hinweise abgeben können, z. B. zu Korruptionsfällen.

Beide Gesetze erfordern es also, eine zuständige Stelle und (technische) Möglichkeiten zur Abgabe von bestimmten Meldungen einzurichten. Dieser Beitrag soll sich dem Thema widmen, ob man die Anforderungen des LkSG und des HinSchG gemeinsam umsetzen kann, oder ob zwei separate Meldesysteme eingerichtet werden müssen. Dazu sollen einige ausgewählte Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Regime analysiert werden.

2. Gemeinsamkeiten und Unterschiede

2.1. Verpflichtete Stellen

Die beiden Gesetze unterscheiden sich bereits bei der Größenordnung der Unternehmen, die betroffen sind. Während das LkSG nur vergleichsweise große Unternehmen trifft (aktuell mit 3.000 Mitarbeiterinnen, ab 2024 mit 1.000 Mitarbeiterinnen), sind nach dem HinSchG bereits deutlich kleinere Unternehmen verpflichtet (bei Inkrafttreten mit 250 Mitarbeiterinnen, ab Dezember 2023 mit 50 Mitarbeiterinnen). Aber Achtung: Die Mitarbeiterzahlen werden unterschiedlich berechnet. Da beim LkSG die Mitarbeiterinnen des Konzerns zusammengezählt werden, ist dieser Schwellenwert ggf. schneller erreicht als gedacht. Beim HinSchG kommt es jedoch auf die einzelne Rechtseinheit an – dann muss aber auch jedes Unternehmen im Konzern, das diese Grenze überschreitet, eine Meldestelle einrichten.

2.2. Sachlicher Anwendungsbereich

Auch hinsichtlich des sachlichen Anwendungsbereichs ergeben sich Unterschiede. Beide Gesetze sehen einen abgeschlossenen Katalog an zulässigen Themenbereichen vor, zu denen Meldungen gemacht werden können. Diese Kataloge überschneiden sich nur teilweise (z.B. beim Thema Mindestlohn). Da die Sachbearbeiterin aber ohnehin überprüfen muss, ob das von der Melderin angegebene Rechtsgebiet zutrifft und ob es in den sachlichen Anwendungsbereich des jeweiligen Gesetzes fällt, steht dies einer gemeinsamen Meldestelle nicht entgegen.

2.3. Meldende Personen

Beide Gesetze sprechen als Whistleblowerin bzw. Beschwerdeführerin nicht jedermann an, sondern nur diejenigen, die im beruflichen Kontext Informationen von Verstößen gegen die betroffenen Rechtsnormen erfahren.

Während das Beschwerdesystem nach LkSG jedoch auch außerhalb des Unternehmens zugänglich sein muss – insbesondere für die Mitarbeiterinnen in der Lieferkette –, reicht es für das Hinweisgebersystem aus, wenn der Zugang nur intern ermöglicht wird, z.B. über das Intranet. Es ist jedoch empfehlenswert, auch hier das Meldesystem für Lieferantinnen zu öffnen – da diese sonst gezwungen wären, extern bei einer Behörde zu melden.

2.4. Personal

In beiden Fällen müssen die Sachbearbeiterinnen, die mit den Hinweisen befasst sind, unabhängig agieren können. Andere Aufgaben dürfen nicht zu Interessenskonflikten führen. D.h. sie dürfen im Fall des LkSG insbesondere nicht Teil des Einkaufs sein, da dort originär Probleme mit der Lieferkette angesiedelt sind. Besser ist es, die Meldestelle bei der Compliance-Abteilung anzusiedeln. Besteht eine solche nicht, bietet sich z.B. die Datenschutzbeauftrage als Zuständige an, da sie bereits eine ähnlich unabhängige Stellung im Unternehmen einnimmt. Zudem müssen die Mitarbeiterinnen über die nötige Fachkunde zur Bearbeitung von Hinweisen bzw. Beschwerden verfügen, also entsprechend geschult werden.

2.5. Verfahrensablauf

Bei beiden Gesetzen muss die meldende Person nach einer gewissen Zeit eine Eingangsbestätigung erhalten. Sofern dies nicht aufgrund einer anonymen Meldung ausgeschlossen ist, muss der Kontakt mit ihr aufrechterhalten werden, während der Sachverhalt geprüft wird. Beim HinSchG ist zudem zwingend nach drei Monaten eine Mitteilung über getroffene Folgemaßnahmen erforderlich.

In beiden Meldeverfahren ist die Vertraulichkeit ein zentraler Leitsatz. Das HinSchG bezweckt den Schutz von Hinweisgeberinnen – und das vor allem auch durch den Schutz ihrer Identität. Deshalb sind in Deutschland sogar anonyme Meldungen zulässig. Doch auch nach dem LkSG sollen die Beschwerdeführerinnen vor Benachteiligungen geschützt werden. Während anonyme Meldungen nach LkSG nicht zwingend vorgesehen sind, empfiehlt sich deshalb auch hier die Möglichkeit der Anonymität.Nach LkSG soll eine Verfahrensordnung veröffentlicht werden, dies ist beim HinSchG dagegen nicht erforderlich. Nichtsdestotrotz muss adäquat über das Verfahren informiert werden, ebenso ist eine zumindest interne Verfahrensanweisung sinnvoll, um den geordneten Ablauf der Hinweisbearbeitung zu gewähren.

3. Fazit


Wenn ein Unternehmen sowohl nach LkSG als auch nach HinSchG verpflichtet ist, ergibt eine gemeinsame Umsetzung der Beschwerdesysteme Sinn. So wird nicht nur der organisatorische und technische Aufwand der verantwortlichen Stelle geringer gehalten, sondern auch bei Whistleblowerinnen und Beschwerdeführerinnen Verwirrung und Unübersichtlichkeit vermieden. Um die Anforderungen beider Gesetze zu erfüllen, sollte man sich bei der Umsetzung dafür jeweils an den strengeren Vorgaben orientieren. Da jedoch verschiedene sachliche Anwendungsbereiche und eine unterschiedliche Bearbeitung der Meldungen vorgesehen sind, müssen getrennte Verfahrensabläufe organisiert werden. Auch für kleinere Unternehmen kann es sinnvoll sein, die Hinweisgebermeldekanäle für Beschwerden nach LkSG zu öffnen. So können sie nicht nur Probleme frühzeitig erkennen, sondern auch gegenüber den eigenen (potentiell nach LkSG verpflichteten) Kunden signalisieren, dass sie menschenrechts- und umweltbezogene Aspekte ernst nehmen. Dabei müssen sie jedoch nicht alle Voraussetzungen des LkSG erfüllen, sondern können sich nach dem HinSchG richten.

Autorin: Tanja Linebach

Europäischer Gerichtshof: Testen mit Echtdaten kann datenschutzrechtlich zulässig sein

Der Europäische Gerichtshof (nachfolgend „EuGH“) hat in seinem Urteil C-77/21 vom 20.10.2022 zu einem datenschutzrechtlichen Klassiker Stellung bezogen: Ist die Verwendung von Echtdaten zu Testzwecken mit dem Zweckbindungsgrundsatz der Datenschutz-Grundverordnung vereinbar? Der EuGH führt in seinem Urteil aus, dass eine Weiterverarbeitung von personenbezogenen Daten (Echtdaten) zu Testzwecken mit dem ursprünglichen Zweck der Datenverarbeitung vereinbar sein kann, wenn die in Artikel 6 Abs. 4 DSGVO genannten Kriterien erfüllt sind.

Ausgangsfall

Ein ungarischer Anbieter von Internet- und Fernsehdiensten richtete nach einer technischen Störung eine Testdatenbank ein. In dieser Testdatenbank wurden durch den Anbieter Kopien von ca. einem Drittel der Privatkunden gespeichert und anschließend weiterverarbeitet. Der Anbieter gab an, dass dieser die Testdatenbank zur Ermittlung von Fehlern und deren Behebung einrichtete. Ursprünglich wurden die personenbezogenen Daten durch den Anbieter zur Erfüllung von Abonnementverträgen erhoben.

Im September 2019 erfuhr der Anbieter, dass ein unbefugter Dritter Zugriff auf die Testdatenbank erlangt hatte. Der Anbieter zeigte die Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten („Datenpanne“) bei der zuständigen ungarischen Datenschutzbehörde an, die anschließend ein Untersuchungsverfahren einleitete. Das Verfahren endete mit dem Verhängen einer Geldbuße von ca. 250.000 €. Der Anbieter setzte sich vor einem ungarischen Gericht gegen die Entscheidung zur Wehr. Das ungarische Gericht legte dem EuGH unter anderem die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob die Verwendung der Echtdaten in der Testdatenbank mit dem Grundsatz der Zweckbindung (Art. 5 Abs. 1 Buchst. b DSGVO) vereinbar ist.

Die Entscheidung des EuGH

Zunächst stellte der EuGH wenig überraschend fest, dass der Grundsatz der Zweckbindung nach Art. 5 Abs. 1 Buchstabe b DSGVO aus zwei Anforderungen besteht. Erstens müssen die personenbezogenen Daten zu einem festgelegten, eindeutigen und legitimen Zweck erhoben werden und zweitens dürfen diese Daten nicht weiterverarbeitet werden, wenn die Weiterverarbeitung mit dem vorher festgelegten Zweck nicht vereinbar ist. Nach Feststellung, dass die ursprüngliche Datenerhebung rechtmäßig erfolgte, führte der EuGH ausführlich zur Frage aus, ob eine Weiterverarbeitung zu Testzwecken ebenfalls mit den Grundsätzen der DSGVO, insbesondere dem der Zweckbindung, vereinbar ist. Dabei stellte der EuGH fest, dass eine Weiterverarbeitung von personenbezogenen Daten nur zulässig sein kann, wenn die Zwecke der Weiterverarbeitung mit den Zwecken der ursprünglichen Erhebung der Daten vereinbar sind. Dabei ist nach Art. 6 Abs. 4 bzw. Erwägungsgrund 50 der DSGVO unter anderem zu berücksichtigen, (a) ob ein Zusammenhang zwischen den jeweiligen Zwecken besteht, (b) in welchem Kontext die Datenerhebung stattfand, (c) um welche Kategorien von personenbezogenen Daten es sich handelt, (d) welche Folgen die Weiterverarbeitung für die betroffenen Personen hat und (e) ob sowohl beim ursprünglichen als auch beim beabsichtigten Weiterverarbeitungsvorgang geeignete Garantien bestehen.

Bezogen auf die Ausgangsfrage stellte der EuGH sodann fest, dass die Durchführung von Tests mittels eigener Testdatenbank zur Behebung von Fehlern, die die Datenbank beeinträchtigen, einen konkreten Zusammenhang zur Erfüllung von Abonnementverträgen aufweist. Der EuGH begründete diese Ansicht damit, dass sich Fehler in der Datenbank negativ auf die vereinbarte Dienstleistung auswirken können und dass die Durchführung von Tests in einer Testdatenbank nicht von den legitimen Erwartungen der Betroffenen abweichen.

Damit ist es nach Ansicht des EuGH mit dem Grundsatz der Zweckbindung vereinbar, wenn ein Unternehmen zur Behebung von Fehlern Echtdaten in eine Testdatenbank überführt und darin weiterverarbeitet.

Praxishinweise

Die Entscheidung des EuGH betrifft zwar nur den Fall, dass eine Weiterverarbeitung von Echtdaten zu Testzwecken in einer Testdatenbank nach einer technischen Störung zur Behebung von Fehlern zulässig sein kann. Dennoch dürfte die Argumentation des EuGH auch auf andere Fallkonstellationen übertragbar sein. Hier ist jedoch nach wie vor eine Prüfung des Einzelfalls erforderlich. Bei dieser Prüfung können die Argumente des EuGH berücksichtigt werden, wonach ein Zusammenhang zwischen verschiedenen Zwecken bestehen kann, wenn das Testen mit Echtdaten bewirkt, dass das ursprüngliche System fehlerfrei betrieben werden kann. Dieser Zusammenhang dürfte in anderen Konstellationen ebenfalls zu begründen sein.

Daneben sind jedoch die weiteren Tatbestandsmerkmale von Art. 6 Abs. 4 DSGVO zu prüfen. Diese wurden durch den EuGH in diesem Verfahren nicht geprüft, da die Beantwortung dieser Fragen nicht Gegenstand der Vorlageentscheidung waren. Zusätzlich zu dem oben beschriebenen Zusammenhang der Zwecke ist einzelfallabhängig in der Prüfung zu berücksichtigen, welche Kategorien von Daten überhaupt vom Test betroffen sind, welche Folgen die geplante Testverarbeitung für die Betroffenen hat und ob im Testsystem geeignete Schutzmaßnahmen zur Wahrung der Sicherheit der betroffenen Daten getroffen wurden. Planen Sie die Durchführung von Tests mit Echtdaten? Sprechen Sie uns an, wir beurteilen für Sie die Zulässigkeit und geben, sofern nötig, wertvolle Hinweise zur Einhaltung des Datenschutzrechts.