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Wer muss bei Datenschutzverstößen zahlen? Klarheit durch EuGH-Urteil erwartet

Grundsätzlich können Verstöße gegen die Datenschutzgrundverordnung gemäß den Vorgaben aus Art. 83 Abs. 4, 5 und 6 DSGVO mit einem Bußgeld geahndet werden. Die deutschen Gerichte beschäftigt nach wie vor die Frage, ob ein Unternehmen als Verantwortlicher unmittelbar und ohne weitere Nachweise unmittelbar haftet oder nicht doch ein (schuldhafter) Verstoß eines leitenden Beschäftigten nachgewiesen werden muss.

Worum dreht sich der Streit?

Im Kern dreht sich der Streit um die Frage, ob bei der Verhängung von Bußgeldern das Funktions- oder das Rechtsträgerprinzip Anwendung findet. Bei Anwendung des Funktionsprinzips kann ein Bußgeld gegen ein Unternehmen bereits dann verhängt werden, wenn ein objektiver Verstoß eines Beschäftigten des Unternehmens vorliegt. Fordert man dagegen die Anwendung des Rechtsträgerprinzips, so könnte ein Bußgeld gegen ein Unternehmen nur dann verhängt werden, wenn nachgewiesen werden kann, dass eine Leitungsperson in Wahrnehmung ihrer Aufgabe einen schuldhaften Verstoß begangen oder ihre Aufsichtspflichten verletzt hat.

Diese Frage wird in naher Zukunft durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) beantwortet werden, da das Kammergericht Berlin (begrüßenswerterweise) im Wege des Vorabentscheidungsersuchens dem EuGH diese nicht ganz unwesentliche Rechtsfrage vorgelegt hat.

Datenschutzkonferenz hat sich bereits positioniert

Die Deutsche Datenschutzkonferenz (kurz DSK), der Zusammenschluss aller deutschen Datenschutzaufsichtsbehörden, hat sich in der Frage bereits positioniert und eine Pressemitteilung veröffentlicht.

Wenig überraschend hält die DSK das Funktionsträgerprinzip für anwendbar und lehnt die Anwendung des Rechtsträgerprinzips ab.

Die DSK begründet ihre Ansicht mit dem Adressatenkreis von Bußgeldern, der sich unmittelbar aus der DSGVO ergäbe und direkt auf Unternehmen abziele. Weiter führt die DSK an, dass sich aus Satz 3 des Erwägungsgrunds 150 eindeutig ergebe, dass hier das Funktionsträgerprinzip Anwendung finden müsse. Dieser sei von den Gerichten zwingend bei der Auslegung der Bußgeldvorschriften der DSGVO zu berücksichtigen.

Wann ist mit einem Urteil zu rechnen und welche Folgen hat dies für Unternehmen?

Das Gutachten des Generalanwalts, das für Ende April angekündigt wurde, wird einen ersten Hinweis liefern, wie der EuGH entscheiden könnte. In der Regel entscheidet der EuGH zeitnah nach Veröffentlichung des Gutachtens. Ein Termin zur Entscheidungsverkündung wurde jedoch noch nicht bekannt gegeben. Insofern darf die weitere Entwicklung mit Spannung erwartet werden.

Die Entscheidung des EuGH wird weitreichende Folgen für die Verhängung von Bußgeldern haben. Folgt der EuGH der Auffassung der Datenschutzkonferenz, so können wesentlich leichter Bußgelder verhängt werden. Entscheidet sich der EuGH für die Anwendung des Rechtsträgerprinzips, so müssten die Datenschutzbehörden vor Verhängung eines Bußgeldes einen Verstoß einer Leitungsperson feststellen und nachweisen. Dies stellt in der Praxis erheblich höhere Anforderungen an den Bußgeldbescheid dar als bei Anwendung des Funktionsträgerprinzips, da hier der konkrete Nachweis nicht weiter erbracht werden muss.

Am besten ist es jedoch ohnehin, es erst gar nicht zu Verstößen kommen zu lassen. Unser Datenschutz-Team berät Sie gerne und findet für Sie passgenaue und datenschutzkonforme Lösungen.

Sollte „das Kind schon in den Brunnen gefallen sein“ unterstützen wir Sie nicht minder gerne bei der Abwehr der von den Behörden gestellten Forderung.

Autor: Fabian Dechent (Rechtsanwalt)

ChatGPT – Rechtliche Herausforderungen im KI-Zeitalter

Manch einer witzelt, man solle doch erst einmal die natürliche Intelligenz stabilisieren, bevor man sich an die künstliche wagt. Davon abgesehen ist die Entwicklung der künstlichen Intelligenz (KI, AI) nicht aufzuhalten. Mehr noch: Sie hat in der letzten Zeit dermaßen an Fahrt aufgenommen, dass es vielen Beobachtern schwindelig wird. Wir können im Augenblick nur vermuten, wie sich unser Leben in den nächsten Jahren aufgrund des Fortschritts verändern wird. Und wie meist hinkt die Rechtsordnung der technischen Entwicklung meilenweit hinterher.

Gerade ChatGPT („Chat Generative Pre-trained Transformer“), der selbstlernende Chatbot von OpenAI, ist aus der Sicht vieler Unternehmern schon jetzt sehr attraktiv – wir sparen uns an dieser Stelle, die KI-Anwendung näher zu beschreiben. Die Entwicklung des Tools gipfelte kürzlich in der Version 4.0, die nicht mehr kostenfrei, aber dafür noch wesentlich leistungsfähiger sein soll. Es ist höchste Zeit, die rechtlichen Probleme beim Einsatz von ChatGPT zu beleuchten, da vor dem Einsatz von KI-gestützten Tools Haftungs- und anderen Fragen geklärt werden sollten.

Die Sache mit dem Copyright

Zum Einstieg lohnt sich der Blick auf eine naheliegende Schwierigkeit, die sich bei näherer Betrachtung in zwei Unterprobleme aufteilt: Zum einen muss man sich fragen, ob man bei der Verwendung der automatisch generierten Texte nicht zumindest teilweise das Urheberrecht eines Dritten verletzt. Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass sich im Text – wenn auch zufällig – Passagen befinden, die wortgleich bereits anderweitig veröffentlicht sind. Zum anderen sollte der Verwender wissen, dass es zumindest nach dem bisherigen Stand der Diskussion schwierig wird, andere Dritte von der Verwendung der eigens generierten Texte abzuhalten – denn sie sind in der Regel keine urheberrechtlich geschützten Werke, da sie nicht durch einen Menschen geschaffen wurden. Wer also ein kreatives Marketing betreibt und dazu KI-Texte verwendet, sollte bei schmissigen Slogans aus der KI-Küche gleich an Markenschutz denken, um sich abzusichern.

Probleme mit Datenschutz und Geschäftsgeheimnissen

Bekannterweise sperrte die italienische Datenschutzbehörde ChatGPT kurzerhand, auch in anderen Ländern steht die Anwendung auf dem Prüfstand. Die deutsche Datenschutzkonferenz (DSK), bestehend aus den Landes- und dem Bundesbeauftragten für Datenschutz, prüfen noch eingehend, wie sie sich zum Verhältnis von ChatGPT zur DSGVO positionieren sollen.

Was es den Datenschützern so schwer macht, ist, dass die KI trotz anderslautender Bekundungen (Stichwort: OpenAI) überwiegend eine intransparente Blackbox ist. Von außen ist der Algorithmus nicht zu durchschauen, Quellen und Verwendungen von enthaltenen personenbezogenen Daten bleiben unklar. Eine relativ offensichtliche Hürde, die Datenschutz-Folgeabschätzung, die nach nach Art. 35 DGSVO bei einer solch bahnbrechenden Technik obligatorisch ist, muss eigentlich vor der erstmaligen Datenverarbeitung genommen werden – das gilt übrigens auch für den Anwender!

Angesichts der unklaren Verwendung der Daten durch OpenAI sollte auch tunlichst davon abgesehen werden, Geschäftsgeheimnisse für ChatGPT zugänglich zu machen: Zum einen können die Informationen dadurch den Schutzstatus nach dem GeschGehG verlieren, zum anderen ist eine Aneignung der Geheimnisse durch Dritte durchaus denkbar. Vor der erstmaligen Verwendung der KI-Unterstützung sowie in regelmäßigen Abständen sollten Mitarbeiter zu diesen Gefahren zwingend geschult werden.

Unternehmen sollten nicht vergessen, dass ChatGPT sekündlich mit Daten gefüttert wird und nicht selten auch wieder welche ausspuckt. Unternehmen, die KI-gestützt arbeiten möchten und solche Anbieter verwenden, sollten es grundsätzlich vermeiden, in solche Systeme personenbezogene Daten über Mitarbeiter, Kunden etc. einzugeben – insbesondere besonders geschützte Daten i.S. des Art. 9 DSGVO. Sollte es dennoch zu Datenschutzverletzungen kommen, drohen Geldbußen sowie die Geltendmachung von Ansprüchen durch Betroffene. Im Augenblick sollte der Blick fortwährend den Veröffentlichungen der Datenschutzbehörden gelten: Wird die Nutzung von ChatGPT auch hierzulande untersagt, ist die gleichwohl fortgesetzte Nutzung bereits Grund genug für eine Haftung.

Es menschelt – die rechtsverletzende Maschine

Die Maschine lernt letztlich vom menschlichen Verhalten. Es bedarf keiner großen Lebenserfahrung, um zu wissen, dass eine stark angepasste KI in der Lage ist, nicht nur moralisch verwerfliche, sondern auch strafwürdige Texte von sich zu geben. Wie man festgestellt hat, kann ChatGPT nicht nur versehentlich Unwahres verfassen, sondern auch bewusst lügen, um gesteckte Ziele zu erreichen. Die Komplexität heutiger Anforderungen an Political Correctness kommt erschwerend hinzu, wenn man als Unternehmen mit Formulierung nach außen auftritt: diskriminierende Äußerungen werden schnell publik, der Ruf wird mitunter irreparabel geschädigt.

Wenn man ChatGPT zum Thema Diskriminierung befragt, kommt die richtige Antwort, dass das KI-Sprachmodell gar nicht in der Lage ist, jemanden zu diskriminieren – es fehlt schlicht an einer Täterschaft. Die Organisation, die KI-Technologie einsetzt, beißen dann aber am Ende die sprichwörtlichen Hunde. Zu empfehlen ist daher, den Einsatz von KI damit zu vergleichen, dass man mit seinen Kindern irgendwo zu Besuch ist: man muss schon aufpassen, was sie erzählen. Umgesetzt bedeutet das, dass es eben Menschen als Aufpasser geben muss, die den Einsatz der KI in nicht zu großen Abständen evaluieren und jede Möglichkeit nutzen, um schädlichen Output im Ansatz zu verhindern. Gleichzeitig ist das Risiko von Rufschädigung, Geldbußen und Ansprüchen Dritter vor dem Einsatz von KI eingehend zu bewerten und der Nutzen vor dem Hintergrund möglicher Rechtsverletzungen ganz bewusst abzuwägen.

Blick in die Zukunft

In den nächsten Jahren wird die gesamte Riege der Gewaltenteilung auf die technische Entwicklung reagieren müssen: Die Gesetzgebung hat nicht die Zeit für lange ethische Diskussionen, zu groß sind die rechtlichen Unsicherheiten für die Anwender und die Betroffenen. Die Behörden versuchen derweil mit dem gegebenen Handwerkszeug, insbesondere dem Schwert des Datenschutzes, bedenklichen Entwicklungen zu begegnen – die Reichweite der Maßnahmen ist erfahrungsgemäß allerdings eher begrenzt. Nach einem zu langen Zeitraum werden dann Gerichte in vielen Einzelfällen zu einer gewissen Rechtssicherheit beitragen. Die Geschichte zeigt indes, dass alle staatlichen Maßnahmen vieles können, nur eines nicht: den Fortschritt aufhalten.

Bleiben Sie mit uns immer auf dem neuesten Stand der Entwicklungen. Vertrauen Sie auch in Sachen künstlicher Intelligenz lieber den Menschen von MKM.


Autor: Andree Hönninger (Rechtsanwalt I Fachanwalt für IT-Recht)

Abmahnwelle Google Fonts – Kein Anspruch auf Schadensersatz

Das Landgericht München I befand in seinem Urteil vom 20.01.2022, Az. 3 O 17493/20, dass die automatische Übermittlung von IP-Adressen bei der Nutzung des Dienstes Google Fonts ohne vorherige Einwilligung rechtswidrig ist, und sprach dem Kläger unter anderem Schadensersatz in Höhe von 100,00 € zu.

Anschließend brach in Deutschland eine regelrechte Abmahnwelle los. Die betroffenen Unternehmen wurden mittels anwaltlicher Abmahnung aufgefordert eine Unterlassungserklärung abzugeben und einen Betrag von 170,00 € als Schadensersatz zu zahlen.

Wir haben unseren Mandanten und Kunden geraten, die Abmahnungen zu ignorieren, da wir diese für unbegründet hielten. Unsere Auffassung wurde nun durch das Landgericht München I durch Urteil vom 30.03.2023, Az. 4 O 13063/22, bestätigt. Ob dieses Urteil rechtskräftig ist, ist jedoch nicht bekannt.

Kein Anspruch auf Unterlassung

Das LG München I stellt im Wege der negativen Feststellungsklage zunächst fest, dass seitens der Abmahner kein Anspruch auf Unterlassung besteht, da die rechtlichen Voraussetzungen für einen solchen Unterlassungsanspruch im konkreten Fall nicht vorlagen. Dabei urteilte das Gericht – aufgrund der ursprünglichen Entscheidung vom 20.01.2022 wenig überraschend – fest, dass die dynamische Einbindung von Google Fonts gegen das Datenschutzrecht verstößt, wenn die Webseitenbesucher nicht vorab in die Übermittlung der IP-Adresse an Google einwilligen.

Jedoch erkennt das LG München I, dass es an der erforderlichen konkreten Betroffenheit des Abmahnenden fehlte. Das Gericht merkte an, dass der Abmahnende die Webseiten der abgemahnten Unternehmen nicht selbst besuchte, sondern vielmehr einen Web-Crawler einsetzte, um solche Webseiten aufzufinden, die Google Fonts dynamisch eingebunden hatten. Das Gericht führt hierzu prägnant aus:

„Wer Websites gar nicht persönlich aufsucht, kann persönlich auch keine Verärgerung oder Verunsicherung über die Übertragung seiner IP-Adresse an die Fa. Google in den USA verspüren.“

Selbst wenn der Abmahner jedoch tatsächlich alle Webseiten der Abgemahnten Unternehmen selbst besucht hätte, so wären die Voraussetzungen des Unterlassungsanspruch nach der Ansicht des LG München I dennoch nicht gegeben. Hier begründet das Gericht, dass jemand, der gezielt eine Situation aufsuche, bei der eine Persönlichkeitsverletzung droht, um direkt im Anschluss daraus eigene Ansprüche zu begründen, gerade nicht schutzbedürftig ist.

Zudem erkannte das Gericht fest, dass die Abmahnungen allein der Gewinnerzielungsabsicht dienten und es dem Abmahner gerade nicht um das Aufzeigen und das Verfolgen eines datenschutzrechtlichen Missstands ging. Auch hier wird das Gericht in seiner Formulierung deutlich:

„Das Gericht erachtet es für kaum denkbar, dass eine Privatperson nur aus Verärgerung über einen aus ihrer Sicht gegebenen und weit verbreiteten Datenschutzverstoß von Website-Betreibern den mit der Versendung von mindestens 100.00 Abmahnschreiben verbundenen Aufwand auf sich nehmen wird, nur um auf den von ihm gesehenen Missstand beim Datenschutz aufmerksam zu machen.“

Da die Abmahnung jedenfalls rechtsmissbräuchlich erfolgte, konnte sich das Gericht weitere Ausführungen zum Unterlassungsanspruch sparen.

Kein Anspruch auf Schadensersatz

Der Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 170,00 € besteht nach Ansicht des Gerichts aus den vorgenannten Gründen ebenfalls nicht. In der Rechtsprechung ist derzeit umstritten, ob Angstgefühle bzw. Verunsicherungen für sich genommen ausreichen, um einen entsprechenden Anspruch nach Art. 82 DSGVO zu begründen. Im konkreten Fall kommt es nach Ansicht des LG München I auf die Klärung dieser Rechtsfrage gar nicht an, da der Abmahner durch den Einsatz eines Webcrawlers nicht in seinen Gefühlen verletzt werden konnte. Das Gericht führt hierzu aus:

„Wer gar nicht weiß, welche Websites „in seinem Namen“ besucht werden, kann sich überhaupt nicht individuell Gedanken dazu machen, dass ihm aus der Übertragung seiner IP-Adresse Unannehmlichkeiten entstehen könnten.“

Im Übrigen wäre auch ein Anspruch auf Schadensersatz aufgrund wegen des Rechtsmissbrauchs ausgeschlossen.

Fazit

Das LG München I hat die Abmahnwelle mit seinem Urteil vom 20.01.2022 mutmaßlich losgetreten und mit Urteil vom 30.03.2023 nicht nur die Google Fonts Abmahnwelle endgültig beendet, sondern die Hürden für Massen-Abmahnungen im Datenschutzrecht sehr hoch gesetzt.Auch wenn der dynamische Einsatz von Google Fonts ohne Einwilligung rechtswidrig ist, können Abmahnende hierdurch nicht „an das schnelle Geld“ gelangen, indem massenhaft (nach Angaben des Prozessvertreters der „IG Datenschutz“ übrigens eine „niedrige sechsstellige Zahl“) versendet werden.

Autor: Fabian Dechent (Rechtsanwalt)

Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats im Rahmen der Einführung eines Hinweisgeberschutzsystems

Der Hinweisgeberschutz hat es in Deutschland nicht leicht. Die Richtlinie (EU) 2019/1937 sollte eigentlich bis zum 17.12.2019 von den Mitgliedstaaten umgesetzt sein und Unternehmen ab 250 Beschäftigten sollten bereits verpflichtet sein (sowie ab dem 17.12.2023 Unternehmen ab 50 Beschäftigten), eine interne Meldestelle zu haben. In Deutschland wurde der Gesetzesentwurf am 10.02.2023 vom Bundesrat abgelehnt und am 05.04.2023 der Vermittlungsausschuss konsultiert.

Nachfolgend zeigen wir Ihnen, welche Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats Sie bei der Einführung eines internen Hinweisgebersystems zu beachten haben, um Ihnen die Einführung eines Hinweisgebersystems zu erleichtern.

1. Unterrichtungsanspruch

Der Arbeitgeber hat den Betriebsrat zunächst gemäß § 80 Abs. 2 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) über die geplante Einrichtung eines Hinweisgebersystems zu unterrichten. Dieser Unterrichtungsanspruch soll es dem Betriebsrat ermöglichen, eigenverantwortlich zu prüfen, ob Mitbestimmungsrechte bestehen oder weitere Aufgaben des Betriebsrats eröffnet werden.

2. Mitbestimmungsrechte nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG

Der aktuelle Entwurf des Hinweisgeberschutzgesetzes lässt dem Arbeitgeber einen weitgehenden Spielraum bei der konkreten Ausgestaltung des Hinweisgebersystems. So wurde etwa die Frage, wie Verstöße gemeldet werden, vom Gesetzgeber bewusst offengehalten, um die Anforderungen an diejenigen Unternehmen, die erstmalig ein Verfahren zur Meldung von Hinweisen einrichten, möglichst gering zu halten.

Nach der ständigen Rechtsprechung betrifft die Einführung von Verfahren zur Meldung von Verstößen die betriebliche Ordnung nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Die Mitbestimmung des Betriebsrats im Rahmen der Ordnung des Betriebs ist bereits eröffnet, wenn es sich um Maßnahmen handelt, die das Verhalten der Mitarbeitenden steuern oder die Ordnung des Betriebs gewährleisten sollen. Es ist daher auch mitbestimmungspflichtig, wenn der Arbeitgeber Compliance-Richtlinien oder einen Verhaltenskodex einführen will, da hierdurch das Verhalten der Mitarbeitenden gesteuert werden soll.

3. Mitbestimmungsrechte nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG

Sofern das Hinweisgebersystem mit dem Einsatz von technischen Einrichtungen erfolgen soll, ist zu prüfen, ob das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG eröffnet ist. Hierfür genügt es, wenn die technische Einrichtung objektiv geeignet ist, Leistung und Verhalten der Mitarbeitenden zu überwachen. Für die objektive Eignung zur Überwachung ist es nicht erforderlich, dass die Daten über Leistung und Verhalten der Mitarbeitenden automatisch erhoben werden. Vielmehr ist es ausreichend, wenn diese manuell eingegeben, die Daten anschließend gespeichert und auf sie zugegriffen werden kann (vgl. BAG, Beschluss vom 13.12.2016 – 1 ABR 7/15).

Da auch im Rahmen des Hinweisgebersystems nicht ausgeschlossen ist, dass Mitarbeitende oder Dritte (z.B. Lieferanten), denen die Möglichkeit zur Abgabe eines Hinweises eröffnet ist, Hinweise abgeben, die Angaben zu Leistung und Verhalten von einzelnen Mitarbeitenden enthalten, ist von einem Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG auszugehen.

4. Mitbestimmung bei Einstellung und Vesetzung

Arbeitgeber, welche die interne Meldestelle in eigener Verantwortung betreiben, müssen sicherstellen, dass entweder bereits vorhandenes Personal mit der Bearbeitung und Entgegennahme von Hinweisen betraut oder neues Personal hierfür eingestellt wird. Im Falle einer Einstellung ist das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 99 BetrVG zu beachten und der Betriebsrat vor der Einstellung entsprechend zu beteiligen.

Wird hingegen bereits vorhandenes Personal für die Bearbeitung und Entgegennahme von Hinweisen nach dem Hinweisgeberschutzgesetz eingesetzt, ist im Einzelfall zu prüfen, ob dies eine Versetzung im betriebsverfassungsrechtlichen Sinn darstellt. Eine Versetzung liegt danach vor, wenn die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs vorliegt, die länger als einen Monat andauert oder mit einer erheblichen Änderung der Umstände verbunden ist, unter denen die Arbeit zu leisten ist, § 95 Abs. 3 BetrVG. Eine nur unwesentliche Änderung des Aufgabenbereichs genügt nicht für eine Versetzung. Da die beauftragten Personen bei der Ausübung ihrer Tätigkeit unabhängig agieren müssen, spricht vieles für eine Parallele zur Übertragung der Aufgaben des Datenschutzbeauftragten, die regelmäßig eine Versetzung darstellt (vgl. BAG, Beschluss vom 22.03.1994 – 1 ABR 51/93), sodass ein Mitbestimmungsrecht anzunehmen ist.

5. Beteiligungsrechte nach §§ 96 ff BetrVG

Der Gesetzesentwurf sieht in § 15 Abs. 2 S. 1 RegE-HinSchG vor, dass sicherzustellen ist, dass die beauftragten Personen über die notwendige Fachkunde verfügen. Dies kann nach der Gesetzesbegründung beispielsweise durch geeignete Schulungen erfolgen. Abhängig vom jeweiligen Konzept für die Schulungsmaßnahme ergibt sich das Beteiligungsrecht des Betriebsrats. So sind Schulungsmaßnahmen mit dem Betriebsrat zu beraten und dessen Vorschlagsrechte diesbezüglich sind zu beachten.

6. Fazit

Auch wenn sich die Verabschiedung des Hinweisgeberschutzgesetzes durch die Politik verzögert, ist Unternehmen anzuraten, bereits mit der Einführung eines internen Hinweisgebersystems zu beginnen und den Betriebsrat einzubinden. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass im aktuellen Gesetzesentwurf lediglich eine Umsetzungsfrist von einem Monat für Unternehmen mit mindestens 250 Mitarbeitenden vorgesehen ist. Gerne unterstützen wir Sie bei der Einführung eines Hinweisgebersystems.

Weitere Informationen zum Hinweisgeberschutzgesetz und dem White Sparrow Hinweisgebersystem können Sie auch in unseren kostenlosen Info-Webinaren „Das neue Hinweisgeberschutzgesetz – aktuelle Anforderungen und Umsetzungstipps“ sowie in unserem regelmäßigen Newsletter erhalten.

Autorin: Jane Hohmann (Rechtsanwältin I Fachanwältin für Arbeitsrecht)

Was schützt ein Designrecht

Edle Handtaschen von Gucci, stilvolle Anzüge von Giorgio Armani oder coole Sneakers von Adidas stehen in den Schaufenstern von schicken Einkaufsstraßen. Diese Produkte sind eingetragene Designs und schützen die Erscheinungsform dieser Produkte. 

Mit einem eingetragenen Design verfügt man über ein zeitlich begrenztes Monopol auf die Form und farbliche Gestaltung eines Produktes, zum Beispiel Bekleidung, Möbel, Fahrzeuge, Stoffe, Ziergegenstände oder grafischen Symbole. Auch Teile von Erzeugnissen können als eingetragenes Design geschützt werden. 

Damit schützt das Design nicht das Produkt per se, sondern lediglich dessen äußere Erscheinungsform. Hier stehen also nicht die technischen Aspekte im Vordergrund, sondern allein die Ästhetik

Was ist der Unterschied zwischen einem Geschmacksmuster und einem Design?

Bis 2014 hieß das Design in Deutschland „Geschmacksmuster“, dann wurde dieser veraltete Begriff durch „Design“ ersetzt. In der EU wird aber weiterhin von einem „Gemeinschaftsgeschmacksmuster“ (GGM) gesprochen. 

Voraussetzungen für Schutzfähigkeit

Ein Design muss zum Zeitpunkt der Anmeldung „neu“ sein. Neu heißt, dass vor dem Anmeldetag kein identisches oder nur in unwesentlichen Merkmalen abweichendes Design veröffentlicht, ausgestellt oder auf den Markt gebracht worden sein darf. 

Des Weiteren muss das Design eine gewisse „Eigenart“ aufweisen. Sein Gesamteindruck muss sich dafür von dem bereits bestehenden Design unterscheiden. An die Eigenart werden jedoch keine besonders hohen Anforderungen gestellt. 

Neuheit und Eigenart werden nicht vom Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) geprüft. Daher bezeichnet man das eingetragene Design auch als ungeprüftes Schutzrecht. Ob die Schutzvoraussetzungen für ein Design vorliegen, entscheiden im Streitfall die Zivilgerichte. 

Anmeldung eines Designs

Mehrere Designs können in einer Sammelanmeldung gemeinsam angemeldet werden (bei deutschen eingetragenen Designs bis zu 100 Designs pro Anmeldung). Die Anmeldekosten für ein Sammeldesign sind daher bedeutend niedriger. 

Schutzdauer eines Designs

Ein eingetragenes Design genießt zunächst Schutz für 5 Jahre ab dem Anmeldedatum. Die Schutzdauer kann jeweils um weitere fünf Jahre verlängert werden, maximal auf 25 Jahre. 

Nichteingetragene EU-Gemeinschaftsgeschmacksmuster (EU-GGM)

Eine weitere Möglichkeit, ein Design kurzfristig und ohne vorherige Eintragung beim Amt zu schützen, ist das nicht eingetragene EU-Gemeinschaftsgeschmacksmuster (GGM). Es entsteht durch die bloße Offenbarung des GGM in der EU und bietet einen Schutz von 3 Jahren vor Nachahmungen. Die Schutzdauer ist bei Nichtanmeldung somit weit kürzer als im Falle der Registrierung. 

Das nicht eingetragene EU-GGM ist insbesondere für Branchen mit sehr kurzlebigen Produktzyklen interessant (z.B. Modebranche). Für diese Wirtschaftszweige ist ein grundsätzlicher – wenn auch im Umfang sehr viel geringerer – Schutz ohne Eintragungsformalitäten vorteilhaft und die Schutzdauer selbst von geringerer Bedeutung. 


Autorin: Gabriele Fuchs (Marken-, Design- und Patentreferentin)

Auswirkungen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes auf das Vergaberecht

Seit dem 01.01.2023 ist das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (kurz: Lieferkettengesetz bzw. LkSG) in Kraft. Von dem Gesetz sind derzeit Unternehmen mit mindestens 3.000 Arbeitnehmern betroffen (ab dem 01. Januar 2024 Unternehmen mit mind. 1.000 Arbeitnehmern). Das Lieferkettengesetz verpflichtet Unternehmen, in ihren Lieferketten menschenrechtliche und bestimmte umweltbezogene Sorgfaltspflichten in angemessener Weise zu beachten.

Auswirkungen auf die öffentliche Auftragsvergabe

Wenn ein Unternehmen gegen das Lieferkettengesetz verstößt, kann es mit Bußgeldern bestraft werden (§ 24 LkSG). Darüber hinaus droht nach § 22 LkSG der zeitweise Ausschluss von öffentlichen Vergabeverfahren für einen Zeitraum von bis zu drei Jahren. Ob ein Ausschluss möglich ist, hängt von der Höhe des Bußgeldes und der Art des Verstoßes ab. Je nach Art des Verstoßes kann Bietern bereits ab einem Bußgeld von 175.000 € ein Ausschluss drohen.

Bei § 22 LkSG handelt es sich um eine „Soll“-Vorschrift. Der Gesetzgeber räumt dem öffentlichen Auftraggeber damit ein sog. gebundenes Ermessen ein. Das bedeutet, dass der Auftraggeber zwar bei der Entscheidung, ob er von der Möglichkeit eines Ausschlusses Gebrauch macht, in jedem Einzelfall sein Ermessen ausüben muss, dass aber im Regelfall eine Entscheidung für den Ausschluss zu erwarten ist. Anderenfalls müssen besondere Umstände vorliegen, die eine Ausnahme von der Regel rechtfertigen.

Das Ermessen gilt auch im Hinblick auf die Dauer der Dreijahresfrist, da es sich dabei um eine Höchstfrist handelt. Die Dauer kann somit im Einzelfall auch kürzer ausfallen.

Das Gesetz regelt mit § 22 LkSG keine allgemeine Vergabesperre. Das bedeutet, die jeweilige Vergabestelle muss in jedem Einzelfall den Ausschluss des betroffenen Bieters prüfen. Zudem ist er vor einem Ausschluss anzuhören (§ 22 Abs. 3 LkSG).

Möglichkeit der Selbstreinigung

Das Vergaberecht sieht zudem die Möglichkeit vor, dass Unternehmen, die auf Grund von Verstößen gegen Rechtsvorschriften von Vergabeverfahren an sich auszuschließen sind, nach einer sog. Selbstreinigung wieder daran teilnehmen dürfen (§ 125 GWB). Das gilt auch für Verstöße gegen das Lieferkettengesetz (§§ 124 Abs. 2, 125 GWB und § 22 Abs. 1 LkSG).

Liegen die Voraussetzungen einer erfolgreichen Selbstreinigung vor und hat der Bieter diese vollständig nachgewiesen, ist ein Ausschluss vom Vergabeverfahren nicht mehr zulässig. Ab diesem Zeitpunkt besteht kein Ermessen des jeweiligen öffentlichen Auftraggebers mehr für einen Ausschluss.

Das bedeutet, betroffene Unternehmen sollten sich in derartigen Fällen umgehend mit der Möglichkeit der Selbstreinigung durch Wiederherstellung der Integrität und Zuverlässigkeit beschäftigen. Dazu gehören beispielsweise die Bereitschaft zum Schadensausgleich, Aufklärung der Fehler und präventive Compliance-Maßnahmen.  

Rechtsschutz gegen einen Ausschluss

Die Ausschlussregelungen des § 22 LkSG gelten sowohl für sog. Oberschwellenvergaben (europaweite Ausschreibung) als auch für Unterschwellenvergaben (nationale Ausschreibung). Gegen die Entscheidung des Ausschlusses haben Bieter im Oberschwellenbereich die Möglichkeit ein Nachprüfungsverfahren einzuleiten und damit ein effektives Rechtsschutzmittel. Im Unterschwellenbereich besteht, wie sonst auch, lediglich die Möglichkeit vor Auftragsvergabe einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zu stellen bzw. nach Auftragsvergabe Schadensersatz geltend zu machen.

Aus der Perspektive der öffentlichen Auftraggeber

Auch für die öffentlichen Auftraggeber bedeuten die Neuregelungen einen zusätzlichen Aufwand, da zum bisherigen Prüfkatalog ein weiterer Prüfungspunkt dazu gekommen ist. Wenn ein zu berücksichtigendes Bußgeld im Sinne des § 22 LkSG vorliegt, muss die Vergabestelle prüfen, ob ggfs. eine ausreichende Selbstreinigung erfolgte und falls dies nicht der Fall ist, das Ermessen wirksam ausüben.

Beratung durch MKM + PARTNER

Wir haben bei MKM + Partner zum Thema Lieferkettengesetz ein Beratungsteam gebildet, das aus den Rechtsanwältinnen/-en Vivien Demuth, Jane Hohmann, Susanne Janssen und Ralph Weiss besteht. Wir beraten sowohl betroffene Unternehmen und Zulieferer als auch Vergabestellen im Hinblick auf das Lieferkettengesetz.

Autor: Ralph Weiss (Rechtsanwalt/Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht)

Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes zur Lohnungleichheit – Ein Meilenstein

In einer bahnbrechenden Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) über den Grundsatz Equal Pay bei Männern und Frauen entschieden. Allein die Begründung des Arbeitgebers, die bessere Bezahlung eines männlichen Mitarbeiters basiere auf dem Umstand, er habe im Rahmen des Einstellungsgespräches besser verhandelt als die weibliche Mitarbeiterin, reicht nach Ansicht des BAG nunmehr nicht mehr aus.

Entscheidung des BAG

In seiner Entscheidung vom 16. Januar 2023 – Az.: 8 AZR 450/21 hatte das BAG entschieden, dass gleiche Bezahlung nicht wegverhandelt werden darf. Bisher wurde nur eine Pressemitteilung des BAG veröffentlicht, die konkrete Urteilsbegründung steht noch aus. Es bleibt daher abzuwarten, inwiefern das BAG eine ungleiche Bezahlung aufgrund anderer Aspekte, wie höherer Qualifikationen oder einer längeren Berufserfahrung zulässt. 

Sachverhalt

Der Entscheidung des BAG lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Klägerin, eine Vertriebsmitarbeiterin eines Metallunternehmens in Meißen war seit dem 01. März 2017 in dem Unternehmen beschäftigt. Im Rahmen des Einstellungsgespräches wurde zwischen der Klägerin und der Beklagten, dem Arbeitgeber, ein Grundgehalt i.H.v. 3.500 € brutto ausverhandelt. Ab August 2018 richtete sich die Vergütung der Klägerin nach dem Haustarifvertrag. In dem Haustarifvertrag wurde u.a. geregelt, dass eine Anpassung des Gehaltes um nicht mehr als 120,- € brutto in dem Zeitraum von 2018 bis 2020 erfolgt, wenn das neue tarifliche Grundgehalt das bisherige tarifliche Entgelt überschreitet. Infolge dessen wurde der Klägerin ab dem 1. August 2018 ein Grundgehalt i.H.v. 3.620 € brutto bezahlt, welches in jährlichen Schritten weiter abgehoben wurde. Bei der Beklagten waren als Außendienstmitarbeiter auch noch zwei männliche Mitarbeiter beschäftigt, einer davon seit dem 01. Januar 2017. Er wurde daher nur wenige Wochen vor der Klägerin eingestellt. Diesem Mitarbeiter wurde seitens der Beklagten im Einstellungsgespräch ein Bruttomonatsgehalt i.H.v. 3.500 € angeboten, was er jedoch ablehnte und vielmehr ein Bruttomonatsgehalt i.H.v. 4.500 € bis zum 31. Oktober 2017 aushandelte. Von November 2017 bis Juni 2018 erhielt der Arbeitnehmer, wie auch die Klägerin ein Grundgehalt von 3.500 €, zzgl. einer leistungsabhängigen Zusatzvergütung. Im Juli 2018 wurde sein Grundgehalt auf 4.000 € erhöht.

Mit der Klage begehrte die Klägerin die Zahlung rückständiger Vergütung für die Zeiträume von März bis Oktober 2017 i. H. v. 1.000 € und für den Monat Juli 2018 i. H. v. 500 € sowie rückständiger Vergütung für den Zeitraum von August 2018 bis Juli 2019 i.H.v. monatlich 500 €. Sie war der Auffassung, ihr sei ein ebenso hohes Grundentgelt zu zahlen, wie dem fast zeitgleich eingestellten männlichen Kollegen, der die gleiche Arbeitstätigkeit verrichtet, wie sie. Die Arbeitnehmerin sah darin eine Benachteiligung aufgrund ihres Geschlechts und forderte deshalb zusätzlich eine Entschädigungszahlung i.H.v. mindestens 6.000 €. 

Entscheidung der Vorinstanzen

Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab. Der männliche Mitarbeiter sei nur zu einem höheren Gehalt dazu bereit gewesen, die Arbeitsstelle anzunehmen. Die Gehaltsunterschiede in dem Unternehmen seien nach Ansicht der Vorinstanzen damit gerechtfertigt, dass das Unternehmen ein berechtigtes Interesse an der Mitarbeitergewinnung hatte und dem Mitarbeiter aufgrund dessen ein anfänglich höheres Gehalt auszahlte.

Begründung des BAG

Die Klägerin legte Revision bei dem BAG ein und hatte dort ganz überwiegend Erfolg. Nach Ansicht des BAG habe die Beklagte die Klägerin aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt, indem sie ihr ein deutlich niedrigeres Gehalt als den männlichen Kollegen ausgezahlt hatte, obwohl sie die gleiche Arbeit, wie der männliche Mitarbeiter verrichtete. Den Anspruch auf das gleiche Grundentgelt ergebe sich aus Art. 157 AEUV, §§ 3 Abs. 1, 7 EntgTranspG. Nach Art. 157 Abs. 1 AEUV muss jeder Mitgliedstaat die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit sicherstellen. Gemäß § 3 Abs. 1 EntgTranspG ist bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit eine unmittelbare oder mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts im Hinblick auf sämtliche Entgeltbestandteile und Entgeltbedingungen verboten. Nach Ansicht des BAG begründet der Umstand, dass die Klägerin für die gleiche Arbeit wie ihre männlichen Kollegen ein niedrigeres Gehalt erhalten hat, die Vermutung, dass eine Benachteiligung aufgrund des Geschlechts erfolgt ist. Der Arbeitgeber kann sich nicht darauf berufen, die ungleiche Bezahlung ergebe sich aus dem Umstand, dass der männliche Kollege ein höheres Entgelt ausgehandelt habe. Einer Frau steht auch dann ein Anspruch auf gleiche Bezahlung zu, wenn der männliche Kollege sein Gehalt besser verhandelt hat.

Die Klägerin hat daher einen Anspruch auf Nachzahlung der Differenzvergütung. Weiterhin hat das BAG der Klägerin eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG wegen der Benachteiligung aufgrund des Geschlechts i.H.v. 2.000 € zugesprochen.   

Fazit

Noch immer verdienen Frauen im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen in vergleichbaren Positionen deutlich weniger. Die Entscheidung des BAG ist ein weiterer Schritt, um die Lohngleichheit zwischen Männern und Frauen voranzubringen. Denn die bisherigen nationalen Gesetze, wie z.B. das EntgTranspG weisen zum Teil noch große Lücken auf. So sieht das EntgTranspG beispielsweise keine Sanktionen, wie die Zahlung von Bußgeldern im Falle eines Gesetzesverstoßes vor.

Da das Thema Lohngleichheit jedoch immer bedeutsamer wird, arbeitet u.a. auch die Europäische Union (EU) derzeit an einer Richtlinie, um die Lohnungleichbehandlung zwischen Männern und Frauen zu schließen. Der bisherige Richtlinienentwurf der EU sieht auch einen Auskunftsanspruch vor, wonach Beschäftigte einen Anspruch auf Auskunft über den Durchschnittslohn der anderen Mitarbeitenden erhalten sollen, aufgeschlüsselt nach Geschlecht und vergleichbarer Tätigkeit. Bereits am 29. März 2023 soll in dem Plenum des EU-Parlaments über diese Richtlinie abgestimmt werden. Sobald dies geschehen ist, wird die Richtlinie zeitnah veröffentlicht und tritt 20 Tage danach in Kraft. Die Mitgliedsstaaten sollen dann drei Jahre Zeit haben, die Anforderungen in nationales Recht umzusetzen.

Unternehmen sollten sich frühzeitig Gedanken über Lohntransparenz machen und sich darauf einstellen, dass die Löhne in ihrem Unternehmen in den nächsten Jahren transparenter werden.  

Autorin: Vivien Demuth (Rechtsanwältin)

Das neue Plattformen-Steuertransparenzgesetz

Am 20. Dezember 2022 wurde das Plattformen-Steuertransparenzgesetz (PStTG) zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2021/514 des Rates vom 22. März 2021 zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung vom Bundestag verabschiedet. Das Gesetz, welches zum 1. Januar 2023 in Kraft getreten ist, statuiert eine Meldepflicht für Transaktionen, die von Privaten und Unternehmen unter Verwendung digitaler Pattformen getätigt werden. Ziel ist der leichtere Zugang der Finanzbehörden zu unter Umständen steuerrelevanten Informationen im Zusammenhang mit solchen Geschäften.

Das PStTG betrifft lediglich Steuerverfahrensrecht – eine Änderung der Besteuerung von mithilfe von digitalen Plattformen getätigten Transaktionen beinhaltet das Gesetz nicht. Das heißt, Umsätze, die bisher nicht steuerbar waren, sind es fortan auch nicht.

Wer ist Adressat des Gesetzes?

Verpflichtete des PStTG sind Betreiber digitaler Plattformen wie Airbnb, Ebay, Momox und Uber. Sie müssen bestimmte Daten der Anbieter, die ihre Plattformen nutzen, erheben, plausibilisieren und an das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) übermitteln. Von dort werden die Daten an die zuständigen Finanzbehörden der Länder und von dort an die jeweiligen Finanzämter weitergeleitet, die diese im Besteuerungsverfahren berücksichtigen und gegebenenfalls überprüfen, ob der Verkäufer die Verkaufserlöse in seiner Steuererklärung angegeben hat.

Eine Plattform wird dabei im Gesetz definiert als „jedes auf digitalen Technologien beruhende System, das es Nutzern ermöglicht, über das Internet mittels einer Software miteinander in Kontakt zu treten und Rechtsgeschäfte abzuschließen“. Der Plattformbetreiber und Verpflichtete des Gesetzes ist somit kein Beteiligter am Rechtsgeschäft, sondern gibt nur die Gelegenheit dazu, dieses abzuschließen. Entsprechend sind Betreiber von Internetseiten, die ihre eigene Ware oder Dienstleistung vertreiben, durch das Gesetz nicht verpflichtet.

Ist ein Plattformbetreiber sich nicht sicher, ob er nach diesem Gesetz meldepflichtig ist, kann er beim BZSt eine kostenpflichtige Auskunft zu dieser Frage einholen.

Welche Rechtsgeschäfte sind erfasst?

Das Gesetz sieht vor, dass von einem Anbieter eine „relevante Tätigkeit“ gegen eine Vergütung erbracht wird, damit die Meldepflicht eintritt. Dies ist

  1. eine zeitlich begrenzte Überlassung von Nutzungen und Rechten an unbeweglichem Vermögen,
  2. eine persönliche Dienstleistung wie Beförderungs- und Lieferdienste,
  3. der Verkauf von Waren oder
  4. die Überlassung von Nutzungen und anderen Rechten jeder Art an Verkehrsmitteln.

Ausgenommen von der Meldepflicht sind Daten „freigestellter Anbieter“. Dies sind u.a. natürliche Personen und Rechtsträger, deren Transaktionen auf der Plattform unter eine Bagatellgrenze fallen: Sie führen pro Meldezeitraum (=Kalenderjahr) weniger als 30 Transaktionen mit einem Gesamtvergütungsvolumen von weniger als 2.000 Euro durch. Transaktionsdaten sammeln, aufbereiten und auswerten muss der Plattformbetreiber allerdings auch in Bezug auf diese freigestellten Anbieter.

Ein Plattformbetreiber kann sich von der Meldepflicht befreien lassen, wenn er gegenüber dem BZSt nachweist, dass seine Plattform nur von freigestellten Anbietern genutzt wird.

Welche Daten müssen gemeldet werden?

Ist der Anbieter eine natürliche Person, müssen

  1. Vor- und Nachname
  2. Anschrift
  3. die Steuer-IdNr., falls nicht vorhanden – Geburtsort
  4. die Identifikationsnummer für Umsatzsteuerzwecke, falls vorhanden
  5. das Geburtsdatum
  6. die Kennung des Finanzkontos, falls vorhanden, sowie den Namen seines Inhabers, falls er vom Namen des Anbieters abweicht
  7. jeder Mitgliedstaat der EU, in dem der Anbieter als ansässig gilt, oder in dem das unbewegliche Vermögen belegen ist, in Bezug auf das der Anbieter Rechtsgeschäfte über die Plattform abgeschlossen hat,
  8. Gebühren, Provisionen oder Steuern, die in jedem Quartal des Meldezeitraums vom Plattformbetreiber einbehalten oder berechnet wurden,
  9. die in jedem Quartal des Meldezeitraums insgesamt gezahlte oder gutgeschriebene Vergütung, und
  10. die Zahl der Transaktionen, für die dem Anbieter in jedem Quartal des Meldezeitraums eine Vergütung gezahlt oder gutgeschrieben wurde,

gemeldet werden.

Ist der Anbieter eine juristische Person, eine Personenvereinigung oder eine Vermögensmasse, müssen

  1. der eingetragene Name
  2. die Sitzanschrift
  3. jede Steuer-IdNr, die dem Anbieter erteilt wurde, und der EU-Staat, der sie erteilt hat,
  4. die Identifikationsnummer für Umsatzsteuerzwecke, falls vorhanden
  5. die Handelsregisternummer,
  6. das Bestehen einer Betriebsstätte in der EU, über die für dieses Gesetz relevante Tätigkeiten ausgeübt werden, falls vorhanden, und
  7. die oben in Nrn. 6-10 genannten Informationen

gemeldet werden.

Zusätzlich zu den meldepflichtigen Informationen sieht das Gesetz die Erhebung weiterer personenbezogener Daten vor.

Wie werden die Daten durch den Plattformbetreiber erhoben?

Die Anbieter sind verpflichtet, den Plattformbetreibern die notwendigen Informationen zur Verfügung zu stellen.

Legt ein Anbieter die geforderten Daten auch nach zweimaliger Erinnerung durch den Plattformbetreiber nicht vor, hat letzterer die Nutzung der Plattform durch den unkooperativenen Anbieter zu verhindern oder die dem Anbieter gezahlte Vergütung einzubehalten. Die Meldung hat bis zum 31. Januar des Jahres, das auf das Jahr folgt, in welchem ein Anbieter als meldepflichtig identifiziert worden ist, zu erfolgen.

Merkt der Plattformbetreiber, dass eine Meldung nicht oder unrichtig erfolgt ist, hat er die Meldung unverzüglich nachzuholen oder zu korrigieren. Das nicht rechtzeitige Melden stellt eine Ordnungswidrigkeit dar, die mit einem Bußgeld in Höhe von bis zu 30.000 Euro bewehrt ist.

Der Plattformbetreiber ist verpflichtet, bestimmte erhebungs- und meldepflichtige Daten einer Plausibilitätsprüfung zu unterziehen. Die Überprüfung des Namens eines Anbieters soll beispielsweise anhand von behördlichen Ausweisdokumenten, Finanzinformationen, Emails und sonstigen Angaben, über die der Plattformbetreiber in seinen Unterlagen verfügt, vollzogen werden. Für die Überprüfung der Gültigkeit der Steuer-IdNr. und der Ust-IdNr. soll der Plattformbetreiber alle öffentlich verfügbaren automatischen Prüfsysteme nutzen.

Stellt der Plattformbetreiber fest, dass gewisse Angaben des Anbieters nicht plausibel sind, hat er unverzüglich neue Informationen zu erheben. Im Falle eines „Berichtigungsverlangens“ des BZSt – etwa aufgrund eigener Ermittlungen – muss der Plattformbetreiber die von ihm gemachten Angaben durch Belege bestätigen.

Auswirkungen des Gesetzes für Plattformnutzer und Plattformbetreiber

Privatpersonen, die beispielsweise auf Ebay Gebrauchtgegenstände verkaufen, ist zu raten, über die getätigten Verkäufe für den Fall einer Überprüfung durch die Steuerbehörde buchzuführen. An den Steuerfreigrenzen für private Verkäufe und der Grenzziehung zur Gewerbsmäßigkeit ändert sich durch das neue Gesetz nichts. Für Plattformbetreiber, die zu „Verwaltungsgehilfen“ der Steuerbehörden werden, bestehen die Konsequenzen in einem großen bürokratischen Mehraufwand, welcher kleinere Plattformbetreiber voraussichtlich stärker treffen wird als größere. Auch kann unter Umständen – im Falle der fehlenden Mitwirkung von Anbietern und den folgenden Sanktionsmaßnahmen – mit Umsatzeinbußen der Plattformbetreiber gerechnet werden.

Autorin: Susanne Janssen (Rechtsanwältin)

Casino Loyal – Verbotenes Spiel mit den Mitarbeitern des Konkurrenten

Ich mache ihm ein Angebot, dass er nicht ablehnen kann.“ Dieser berühmte Satz aus dem Film „Der Pate“ steht sinnbildlich für eine eher unmoralische Offerte. Mit diesem Artikel soll der Frage nachgegangen werden, wann das Abwerben von Mitarbeitern bei der Konkurrenz nicht nur unmoralisch, sondern auch gesetzlich verboten ist.

Der Mitarbeiter als Freiwild

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat zu diesem Thema einen recht nachvollziehbaren Grundsatz geprägt, der den HR-Abteilungen in Bezug auf die eigenen Schäfchen nicht schmecken wird: „Arbeitgeber haben keinen Anspruch darauf, dass der Bestand ihrer Mitarbeiter vor Konkurrenz geschützt wird. Als Folge des freien Wettbewerbs müssen es Arbeitgeber hinnehmen, dass Mitarbeiter abgeworben werden.“ (BGH, Urteil vom 30.04.2014, Aktenzeichen I ZR 245/12). So wie man wechselwillige Mitarbeiter nur schlecht aufhalten kann, ist es eben den Mitbewerbern grundsätzlich gestattet, die Mitarbeiter der Konkurrenz anzusprechen und mit besseren Konditionen zu locken.

Grundsätzlich kein Mittel dagegen sind zum einen einschränkende Regelungen in den Arbeitsverträgen, die den Mitarbeitern den Wechsel erschweren sollen – dieser Umstand soll hier aber nicht vertieft werden. Wie § 75f HGB zeigt, ist zum anderen auch davon abzuraten, mit den Mitbewerbern irgendwelche Absprachen im Sinne eines „Nichtabgriffspakts“ zu vereinbaren.

Der Vertragsbruch des Mitarbeiters

Allerdings ist eine Grenze der Abwerbung da zu sehen, wo der Mitarbeiter einen Vertragsbruch begeht und der Mitbewerber ihn dazu verleitet. Verleiten bedeutet in diesem Zusammenhang, dass man die noch bestehende Bindung des Beschäftigten kennt oder es einem letztlich gleichgültig ist – auf eine konkrete Verleitungsabsicht kommt es also nicht an. Nicht entscheidend soll auch sein, ob der Mitarbeiter den ersten Schritt gemacht hat oder ob er schon vorher mehr oder minder zum Vertragsbruch neigte.

Vertragsbruch bedeutet, dass der Beschäftigte eine wesentliche Vertragspflicht verletzt, also maßgeblich gegen seine Leistungspflicht oder z.B. gegen ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot verstößt. Wenn einem das Kunststück gelingt, nachzuweisen, dass der Arbeitnehmer durch sein Verhalten eine fristlose Kündigung provoziert hat, nur um schnell den Arbeitgeber wechseln zu können, kann dies dem bisherigen Arbeitgeber Ansprüche gegen den mitwissenden Konkurrenten bescheren. 

Ganz im Vertrauen

Nicht ganz unberechtigt erscheint die Angst des Arbeitgebers, dass ein scheidender Mitarbeiter auf dem Weg zur Konkurrenz noch ein paar Kollegen mitzieht; nicht selten wird der Arbeitgeber hier wegen fehlendem Vertrauen eine Freistellung aussprechen. Der Mitbewerber haftet für die interne Abwerbeaktion jedoch nur, wenn noch besondere unlautere Umstände hinzukommen. Dazu genügt wieder das oben beschrieben Verleiten, aber auch ein planvolles Vorgehen, mit dem der Konkurrent bei der Erbringung seiner Leistung am Markt in unangemessener Weise behindert werden soll. In der Rechtsprechung spricht man hier auch gerne von einem „putsch- oder handstreichartigen“ Vorgehen, was zum „War of Talents“ wie die Faust aufs Auge passt.

Diskutieren kann man, ob nicht auch zwischen Unternehmen ein Vertrauensverhältnis bestehen könnte, demnach es per se wettbewerbswidrig ist, dem Vertragspartner die maßgeblichen Beschäftigten wegzunehmen. Die Latte der Unlauterkeit muss in solchen Konstellationen allerdings sehr hoch gesetzt werden, um nicht den Grundsatz des freien Wettbewerbs um die besten Mitarbeiter auszuhöhlen und zu entwerten.

Jetzt wird`s kriminell

Unter Umständen können Abwerbeaktionen auch ein Fall für den Staatsanwalt werden, insbesondere bei einem sehr strategischen Vorgehen eines Konkurrenten. So kann die Nutzung von Mitarbeiterlisten, die wechselwillige Beschäftigte mitgehen lassen und z.B. private Kontaktdaten beinhalten, Ansprüche und Verantwortlichkeiten nach §§ 4, 23 Geschäftsgeheimnisgesetz (GeschGehG) auslösen. Auch eine Beteiligung oder gar Mittäterschaft an einer strafbaren Untreue nach § 266 StGB zulasten des ehemaligen Arbeitgebers kommt in Betracht: „Human Capital“ ist ein Vermögenswert, der in der Regel mit einer Treuepflicht von leitenden Angestellten korrespondiert.

Schlussbetrachtung

Als Fazit kann man festhalten, dass man sich vorsehen sollte, zu forsch auf Mitarbeiterfang zu gehen, da man der Konkurrenz ansonsten Anlass für anwaltliche Abmahnungen und Wettbewerbsprozesse bietet. Übrigens: Wenn ein Mitarbeiter rechtswidrig vom Konkurrenten abgeworben wurde und der Gang zum Anwalt keine befriedigende Lösung darstellt, können im gewissen Rahmen auch Maßnahmen zur Rückgewinnung getroffen werden, die ansonsten unlauter wären. Mafiöses Vorgehen wie im Film der Pate ist derweil nie zu empfehlen – kommen Sie vorher lieber zu uns und lassen Sie sich zum Thema beraten!

Verjährung – Verfall – Übertragung: Worauf haben Arbeitgeber bei Urlaubsansprüchen zu achten

Das Urlaubsrecht wurde in den letzten Jahren durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und des Bundesarbeitsgerichts (BAG) stark verändert und verkompliziert. Dieser Beitrag soll Ihnen einen kurzen Überblick über die wichtigsten Punkte zum Umgang mit Urlaubsansprüchen geben und aufzeigen, was Arbeitgeber zu beachten haben.

1. Verfall von Urlaubsansansprüchen

Bereits am 06.11.2019 hat der EuGH (Az.: C-684/16) die Regelungen zum Verfall von Urlaubsansprüchen grundlegend verändert. Bis zu diesem Urteil wurde angenommen, dass Urlaubsansprüche mit dem Ende des Urlaubsjahres, spätestens zum 31.03. des Folgejahres verfallen, wenn der Arbeitnehmer sie nicht in Anspruch genommen hat. 

a) Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers
Der EuGH hat in seiner Entscheidung festgelegt, dass Urlaubsansprüche nur verfallen, wenn Arbeitgeber die Arbeitnehmer zuvor in die Lage versetzt haben, den Urlaubsanspruch wahrzunehmen und die Arbeitnehmer diesen aus freien Stücken nicht genommen haben. Arbeitgeber sind daher verpflichtet, die Arbeitnehmer über ihren konkreten Urlaubsanspruch zu belehren, wenn sie verhindern wollen, dass die Arbeitnehmer Urlaubsansprüche anhäufen.

Arbeitgeber haben ihre Arbeitnehmer daher aufzufordern, ihren Urlaub zu nehmen und ihnen klar und rechtzeitig mitzuteilen, dass der Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder eines Übertragungszeitraumes verfällt, wenn sie ihn nicht beantragen. Es soll genügen, wenn der Arbeitgeber zu Jahresbeginn in Textform mitteilt, wie viele Arbeitstage Urlaub dem Arbeitnehmer im Kalenderjahr zustehen und auffordert, den Jahresurlaub so rechtzeitig zu beantragen, dass er im laufenden Urlaubsjahr genommen werden kann. Zugleich hat der Arbeitgeber über die Konsequenzen zu belehren, die eintreten, wenn die Arbeitnehmer ihren Urlaub nicht nehmen (vgl. BAG, Urteil vom 19.02.2019 – 9 AZR 423/16). 

b) Zusatzurlaub schwerbehinderter ArbeitnehmerIn einem Urteil vom 26.04.2022 hat das BAG (Az.: 9 AZR 367/21) klargestellt, dass die Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers durch den Hinweis auf den Verfall und die rechtzeitige Urlaubsnahme auch für Zusatzurlaub von schwerbehinderten Menschen gilt. Sofern der Arbeitgeber aber keine Kenntnis von der Schwerbehinderung des Arbeitnehmers hat und diese auch nicht offenkundig ist, verfällt der Zusatzurlaub nach den gesetzlichen Regelungen, unabhängig davon, ob der Arbeitgeber den Arbeitnehmer entsprechend belehrt hat. In den Fällen des Verfalls von Zusatzurlaub sind jedoch Besonderheiten zu beachten, wenn etwa ein Antrag auf Schwerbehinderung abgelehnt wurde und der Arbeitnehmer hiergegen Widerspruch eingelegt hat. Bei Fragen kommen Sie daher gerne auf Frau Rechtsanwältin Jane Hohmann zu. 


c) Langzeiterkrankte ArbeitnehmerLange war umstritten, ob die Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers auch bei langzeiterkrankten Arbeitnehmern gewahrt werden muss, obwohl diese nicht in der Lage sind, ihren Urlaub in Anspruch zu nehmen. Der EuGH (Urteil vom 22.09.2022 – C-518/20, C-727/20) verlangt auch in diesen Fällen, dass Arbeitgeber die Arbeitnehmer in die Lage versetzen, ihren Urlaubsanspruch wahrzunehmen. Diese Pflicht besteht jedoch nur, wenn der Arbeitnehmer im jeweiligen Urlaubsjahr gearbeitet hat, bevor er voll erwerbsgemindert oder krankheitsbedingt arbeitsunfähig geworden ist.

Hat der Arbeitnehmer im gesamten Urlaubsjahr nicht gearbeitet, ist er nicht über den Urlaubsverfall zu belehren. Der Urlaubsanspruch verfällt dann – auch ohne Belehrung – mit Ablauf der 15-Monatsfrist, wenn der Arbeitnehmer seit Beginn des Urlaubsjahres durchgehend bis zum 31.03. des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres aus gesundheitlichen Gründen gehindert war, seinen Urlaub zu nehmen (BAG, Urteil vom 20.12.2022 – 9 AZR 245/19).


2. Verjährung

Auch bei der Verjährung wirken sich die Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers aus.

a) Laufendes Arbeitsverhältnis
Im bestehenden Arbeitsverhältnis tritt eine Verjährung des Urlaubsanspruchs nur ein, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer tatsächlich in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch zu nehmen (EuGH, Urteil vom 22.09.2022 – C-120/21). Das BAG hat diese Rechtsprechung im Urteil vom 20.12.2022 (Az.: 9 AZR 266/20) fortgeführt und entschieden, dass die Verjährungsfrist von Urlaubsansprüchen erst mit dem Schluss des Jahres beginne, in dem der Arbeitgeber seine Mitwirkungsobliegenheit erfüllt hat. 

b) Nach Beendigung des ArbeitsverhältnissesIn einer Entscheidung vom 31.01.2023 (Az.: 9 AZR 456/20) hat das BAG zum Beginn der Verjährungsfrist von Urlaubsabgeltungsansprüchen bei einem beendeten Arbeitsverhältnis Stellung genommen. Die Verjährungsfrist von Urlaubsabgeltungsansprüchen beginnt danach solange nicht, wie eine Klageerhebung aufgrund einer gegenteiligen höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht zumutbar ist.

In dem Urteil ging es um Urlaubsansprüche eines Arbeitnehmers aus den Jahren von 2010 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Oktober 2015. Das BAG hat hinsichtlich der Verjährung der Urlaubsabgeltungsansprüche zwischen Urlaubsabgeltungsansprüchen von 2010 bis 2014 und denjenigen aus 2015 unterschieden. Für 2015 sind nach Ansicht des BAG die Urlaubsabgeltungsansprüche verjährt, weil es für den Arbeitnehmer erkennbar war, dass mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses Urlaubsansprüche aus diesem Jahr abzugelten sind. Aufgrund der bisherigen Rechtsprechung des BAG war es aber für den Kläger hinsichtlich der Jahre 2010 bis 2014 nicht ersichtlich, dass noch Urlaubsabgeltungsansprüche bestehen, da er von einem Verfall ausgehen musste. Hinsichtlich dieser Urlaubsabgeltungsansprüche war der Kläger daher erst nach der Rechtsprechung des EuGH gehalten, die Abgeltung für Urlaubsansprüche aus 2010 bis 2014 gerichtlich geltend zu machen.

Die Urteilsgründe sind bisher noch nicht veröffentlicht. Es bleibt daher abzuwarten, ob das BAG ggfs. sogar eine Beweislastumkehr hinsichtlich der Geltendmachung von Urlaubsabgeltungsansprüchen vorsieht. Die weitere Entwicklung behalten wir für Sie im Blick und informieren Sie unmittelbar.

Das BAG hat in zwei Urteilen aus dem Jahr 2022 (Az.: 9 AZR 461/21 und 9 AZR 341/21) zudem bestätigt, dass der Urlaubsabgeltungsanspruch als reiner Geldanspruch aufgrund einer wirksamen Ausschlussfrist entfallen kann. Es ist daher zu empfehlen, die Arbeitsverträge und die darin enthaltenen Ausschlussfristen zu prüfen und ggfs. anzupassen. 

3. Fazit

Es ist Arbeitgebern anzuraten, entsprechende Hinweisschreiben an die Arbeitnehmer zu verteilen, um den Verfall von Urlaubsansprüchen oder eine Verjährung zu erreichen. Der Hinweis sollte zu Beginn eines jeden Jahres an die Mitarbeiter erfolgen, um auch Mitarbeiter zu erfassen, bei denen ggfs. im Laufe des Jahres eine Erwerbsminderung festgestellt wird. Bei Fragen wenden Sie sich gerne an unsere Arbeitsrechtsexperten Frau Jane Hohmann, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht und Frau Vivien Demuth, Rechtsanwältin.